Bulgarien ist für Osteuropa das, was Schwaben für die Bundesrepublik ist: ohne nennenswerten Reiz, konservativ, mehr oder weniger harmlos, ein wenig peinlich. Sibylle Lewitscharoffs Heldin ist eine Bulgarin, die in Stuttgart lebt: doppelt gestraft. Mit einem Konvoi schwäbischer Exilbulgaren zieht sie von Degerloch nach Sofia, um verstorbenen Familienangehörigen die letzte Ruhe in heimischer Erde zu ermöglichen. Und sie hasst: den Wohlstand der Exilanten. Die Stillosigkeit der alten Heimat. Die Brutalität und Obszönität der Menschen. „Dreck. Zwingdreck. Kraftdreck. Volkdreck.“ So geht es über Seiten, die gesamte Besichtigung des (tatsächlich grauenvollen) Nationalmonuments „1 300 Jahre Bulgarien“ lang: „Grober Dreck, mißschaffender Dreck, tückischer Dreck, widerwärtiger, erpresserischer Dreck.“ Eine Suada, ähnlich den nicht enden wollenden Österreich-Hass-Texten Elfriede Jelineks, nur fröhlicher: Wo Jelinek wohl wirklich an Österreich leidet, liebt es Lewitscharoff, ihrer Heldin Bulgarien/Schwaben/Welt-Verachtung in den Mund zu legen. In Wahrheit ist es nämlich so: Rumen Apostoloff ist der Fahrer des hasserfüllten Trauerzuges, und Rumen Appostoloff muss den gesamten Text über Demütigungen ertragen. Das tut er mit solch stiller Trauer, dass man nicht anders kann als in dieser Beschreibung auch eine Form von Liebe zu sehen, eine Liebe, die den traurigen Bulgaren am Ende auf den Titel des Romans bringt. Im Ergebnis haben wir die wunderbare Liebe-Hass-Komposition einer schwäbischen Autorin mit bulgarischen Wurzeln und Wohnsitz Berlin, die nur im Ton manchmal allzu gleichförmig wirkt. Am Ende haben wir die Zukunft multikultureller Literatur, die vollkommen zu Recht den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat. (fis)
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