Matthias Keidtels literarisches Kaspar-Hauser-Experiment geht mit Teil zwei der geplanten Trilogie in die nächste Runde. Sein Held Holm besitzt nicht nur die Selbstbezüglichkeit eines Kindes, sondern auch die Konformität eines Menschen, der sich nie von seinen Eltern löste. Dass er bei denen gerade erst wieder eingezogen ist – mit 38! -, macht selbige nicht glücklich. Selbst Holm merkt das, und so macht er sich auf in die Welt. Ganze zehn Kilometer weit kommt er auf dem Weg in die ökonomische Selbständigkeit, von Rudow aus dem Berliner Süden bis nach Berlin Mitte. Dort aber erlebt Holm Unglaubliches: Er verkehrt in Striplokalen, arbeitet als Türsteher und Leibwächter – und verliebt sich. Holm blüht auf. Ob Matthias Keidtel mit seiner Trilogie, wie viele Rezensenten meinen, ein überzeichnetes Porträt der Generation Praktikum zeichnet, die nie erwachsen wird? Kaum. Dafür gleicht der Charakter seines Helden zu sehr dem Ergebnis einer sterilen Versuchsanordnung. Holm geht staunend durch eine ihm fremde Welt. Er lernt hinzu, versucht sich anzupassen, scheitert und versucht es erneut. Der Peinlichkeitsfaktor ist sehr hoch – hoch allerdings auch das Humorpotenzial des Romans: Keidtels zwischen Sachlichkeit und Gestelztheit changierende Sprache ist Auslöser dafür, dass Holms Leben überhaupt erst komisch wird. (jw)
— Dieser Text bezieht sich auf eine andere Ausgabe:

Gebundene Ausgabe
.