Kann man einen Mordfall auflösen, der mehr als 30 Jahre zurückliegt? Die quirlige und engagierte George Gardener, Stadtverordnete von Bournemouth, versucht es und erfährt dabei die Hilfe des Londoner Schriftstellers Dr. Jonathan Hughes. Durch ihn und sein Buch über Justizirrtümer wurde sie auf schwerwiegende Verfahrensfehler im Fall Howard Stamp hingewiesen. Stamp, ein geistig zurückgebliebener junger Mann, soll 1973 in Bournemouth seine Großmutter auf brutalste Weise umgebracht haben. Nach einem fragwürdigen Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt, hatte Stamp sich dann kurze Zeit später im Gefängnis das Leben genommen. Die fast sechzigjährige George und der junge, steife Akademiker Jonathan sind sich anfangs nicht unbedingt sympathisch. Als sie –- krebskrank -– und er -– Sohn farbiger Einwanderer — sich aber während ihrer gemeinsamen Recherchen ihre Lebenskrisen offenbaren müssen, freunden sie sich zaghaft an. Nach intensivem Studium der Prozessakten und Zeugenaussagen stoßen die beiden im Fall Stamp auf eine neue Spur … Minette Walters schafft mit Der Außenseiter wie schon in Der Nachbar ein komplexes Sozialdrama, dass tiefe Einblicke in die innere Zerrissenheit der britischen Klassengesellschaft gewährt. Gleichwohl werden jene, die Walters als Spannungsautorin kennen und schätzen, mit dem Roman wohl eher Schwierigkeiten haben. Mit den zahlreichen Identitätskonflikten und psychischen Wunden ihrer Figuren tut Walters zuviel des Guten. Das gerät vielleicht für manche Leser zur schweren Kost, denn in diesem Buch hat praktisch jeder Protagonist eine „schlimme Kindheit“ erlebt oder durchleidet schwere psychische Krisen. Sicher glänzt die Autorin nach wie vor mit eindringlichen Charakterzeichnungen, präzisen Dialogen und klugen Aktualitätsbezügen. Doch in Der Außenseiter gestaltet Walters ihren Plot insgesamt zu dokumentarisch, als habe sie sich angesichts ihres Materials, einer Vielzahl von Vernehmungsprotokollen und Presseberichten, nicht zwischen Fiktion und Wirklichkeit entscheiden können. So wirkt Der Außenseiter auf eine eigenartige Weise unfertig. Gleichzeitig denkt man sich: Würde sich die britische „Queen of Crime“ doch lieber auf ihre Stärken besinnen und es ihren Lesern nicht so schwer machen. Denn was Walters an Einsichten in die menschliche Natur und deren Schattenseiten gewährt, wie sie ihre Geschichte hier hintergründig in den Realitätsfluss des Irak-Kriegs und des 11. September einbettet, das bleibt in seinen Ansätzen natürlich immer noch sehr lesenswert. –Christian Koch
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