Sie hält viel von Sprichwörtern, hat immer einen flotten und meist zutreffenden Spruch auf den Lippen und hat vor allem gern das letzte Wort! Schon seine Mutter hatte Rudolf, ihren einzigen und einzigartigen Sohn damals gewarnt: „Eine so aufmüpfige Frau heiratet man nicht!“ Die alte Dame muss es ja wissen. Sie entstammt einer Familie, die dem horizontalen Gewerbe frönte. Sie selbst angelte sich dabei einen Kunden, ein „Studierter“, den späteren Herrn Amtsrat, der noch „Jungfrau“ war, bevor er mit 39 Jahren Rudolfs „Erzeuger“ wurde. Er vererbte seinem Sohn mehr unangenehme Eigenschaften, als Herta lieb gewesen wäre. Auch ihren Freundinnen, die ihr zeitlich mit ihren pensionierten Männern voraus sind, geht es nicht viel besser. Herta wundert sich nur, wieso ihre beiden Kinder bei so einer untüchtigen Frau und Mutter wie sie, nicht längst in der Badewanne ertrunken sind, sie nicht mutterseelenallein auf der Autobahn zurückgelassen wurden, oder ihr gemeinsames Reihenhaus noch nicht in Flammen aufgegangen ist und und und. Kurzum, es scheint, Rudolfs Pensionierung kommt gerade zur rechten Zeit. So führt er Neuerungen ein, revolutionäre, wie er behauptet. Revolutionär sind sie in der Tat. Es gibt seit dem nichts mehr, was Herta noch schocken könnte. Noch nicht einmal die Senilität ihrer über neunzigjährigen Mutter und die Fahrweise ihres ebenso alten Vaters, der das Autofahren noch immer liebt und bei dem kleine „Crash“s zum normalen Alltag gehören. Herta selbst kann sich die Langlebigkeit dieser Ehe, sie steuern das halbe Jahrhundert an, nur durch den Spruch: „Gegensätze ziehen sich an,“ erklären.