Selbstüberprüfung B. En. Wer heute ein geistliches Tagebuch vorlegt, setzt sich mit einer solchen Frömmigkeitshaltung schnell dem Vorwurf des Anachronismus aus. Silja Walter, die Benediktinerin und Schriftstellerin, geht noch einen Schritt weiter: Im Mittelpunkt ihrer Reflexionen steht die Beichte, die mit ihrer herkömmlichen Praxis vielen als «totes Sakrament» gilt. In diesem Vakuum, dieser «Wüste» setzt die Autorin an und sucht nach einer neuen belebenden Orientierung. Nicht mehr der sogenannte Beichtspiegel ist für sie verbindlich, sondern einzig die Bibel – und hier primär die jesuanische Biographie mit ihren herausragenden Stationen. So ordnet sie ihre Betrachtungen diesen neutestamentlichen Ereignissen unter, aber zugleich auch dem Jahreszyklus. Doch will sie ihre Überlegungen entschieden von pädagogischen bzw. katechetischen Absichten freihalten. Weit eher sieht sie diese Aufzeichnungen in der Tradition der religiösen «confessiones» angesiedelt. – Tatsächlich sind diese Wahrheitsfindungen von Mut und Freimut getragen. Die Autorin verweilt nicht im Status der Betrachterin, sondern begibt sich rückhaltlos ins Geschehen hinein. Zentral wird für sie der Begriff des «Kyrios», die Bezeichnung für den nachösterlichen Christus, dessen Identität im Frühchristentum durch das Zeichen des Fisches («Ichthys») erhellt worden ist. Im Wissen darum, dass zwar der Begriff «Herr» für die feministische Exegese nicht mehr zulässig ist, hält Silja Walter gleichwohl an diesem Terminus fest und füllt ihn mit neuem Gehalt. In der späten Stunde eines langen Lebens wird für sie «das Kommen des Herrn» zum letzten bedeutsamen Ereignis. Beichte heisst für sie «Selbstüberprüfung» im Licht der Bibel. Wie in all ihren Büchern steht auch hier die Gott-Mensch-Beziehung im Mittelpunkt, welche die Autorin seit je als Liebesgeschichte verstanden hat.
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.