Ehre ist ein typisches Merkmal vormoderner Gesellschaften, zu denen auch die athenische gehört. Im Gegensatz zu anderen ehrenhaften Gesellschaften aber entwickeln die Athener mit der Demokratie eine politische Ordnung, die in hohem Ansehen steht und das alltägliche soziale Leben der Bürger prägt. Für die Athener galten gleichermaßen der Wert der Ehre wie auch die demokratische Polis als normative Bezugspunkte und sinnstiftende Einheiten, an denen sie sich in ihrem Verhalten orientierten. Wie anthropologische und ethnologische Studien zeigen, äußert sich die Vorstellung von Ehre in dem als ehrenhaft interpretierten Verhalten eines Mannes. Konkret werden in der Arbeit deshalb soziale Kontexte untersucht, in denen sich die für solche Gesellschaften typische Dynamik der von Ehre geprägten Interaktion entfaltet. Das Bild der athenischen Polisbürger als einer ehrenhaften und gleichzeitig demokratischen Gesellschaft setzt sich aus mehreren Wirkungsbereichen der Ehre zusammen. Im Bereich der Bewältigung von Konflikten etwa weist der Streit in den athenischen Gerichtshöfe sowohl Züge des agonalen Nullsummenspiels unter Ehrenmännern wie auch eines sachlichen, regelhaften Prozesses auf, der die Polis als Schiedsinstanz anerkennt. Ähnlich verschränkt sich die soziale Dynamik von Ehre und demokratischer Polis beim Wettbewerb um die Ehrungen in Olympia, beim Handlungsspielraum der Bürgerinnen und bei den politisch-sozialen Ausnahmezuständen der Hybris und der Atimie. Im Ergebnis nimmt die Arbeit – im Gegensatz zur bisherigen Forschung – eine vermittelnde Position ein: Die Verknüpfung zwischen den Normen der Ehre und jenen der Polis gelang offenbar auf vielen Gebieten recht gut. Es gelang den Athenern auch in Zeiten der Demokratie, Männer von Ehre zu sein.