Spätestens seit Februar 2007, anlässlich des denkwürdigen Auftritts des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz, kann nicht mehr darüber hinweggesehen werden, dass sich in der Großregion Eurasien, aber auch darüber hinaus und verbunden mit internationalen Mächtekonstellationen, Veränderungen eingestellt haben, die wenige Jahre zuvor noch undenkbar schienen. Sämtliche zentrale Akteure der Großregion die EU, Russland und die Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) befinden sich in einem fließenden Entwicklungszustand mit offener Perspektive. Die Machtkonstellationen des internationalen Systems werden zudem durch das Auftreten der BRIC-Staaten, also der entwickelten Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China, verschoben. Neue, international vernetzte regionale Interessengemeinschaften wurden geformt, so die Shanghai Organisation Cooperation. Sie grenzen die hegemoniale Stellung Washingtons ein. Demzufolge scheint die unipolare Weltordnung, die sich nach dem Ende des bipolaren Systems herausschälte, nur von kurzer Dauer. Auch Erwartungen, dass die EU als ein Ordnungsfaktor ihren Einfluss auf die Gestaltung des eurasischen Raumes ausüben würde, sind zurückgeschraubt worden. Trotz neuer Reformanstrengungen scheint die EU eher auf der Stelle zu treten. Das hat zu der paradoxen Situation beigetragen, dass die prognostizierten Auseinandersetzungen zwischen der EU und Russland um die „Zwischenzone“ des westlichen GUS-Raumes abgeschwächt wurden. Das postsowjetische Russland definiert sich zweifellos als Großmacht, aber ohne ideologisches Sendungsbewusstsein. Moskau verfolgt eine handfeste Interessenpolitik, die zwar pragmatisch angelegt ist, aber auch rücksichtslos vorgeht. Im Unterschied zur alten Sowjetmacht gründet das postsowjetische Russland seinen Machtzuwachs jedoch nicht auf militärisches Drohpotential, sondern auf wirtschaftliche Faktoren, auf Rohstoffe, Energieträger und lockt mit dem ungeheuren Nachholbedarf an Investitionen für die technologische Modernisierung seiner großen Industrie und der Infrastruktur. Rätsel gibt vor allem die Politik Moskaus auf. Die Politik des Kreml hat sich zwar nicht von Europa abgewendet, aber der europäische Einfluss auf Moskau ist gesunken, ebenso der Washingtons. Ob sich ein Paradigmenwechsel in der russischen Außenpolitik abzeichnet und wie sich die Beziehungen Moskaus zur Ukraine, zum Kaukasus und den zentralasiatischen Staaten entwickeln werden, sind zentrale Themen des vorliegenden Buches.Viele dieser Aspekte waren 2005 beim Abschluss des Vorgänger-Bandes „Die offene Flanke der Europäischen Union: Russische Föderation, Belarus, Ukraine und Moldau“ noch nicht in solcher Klarheit erkennbar. Aber auch unter den Akteuren der GUS sind Umgruppierungen eingetreten. Trotz des Wahlsieges der früheren Protagonisten der „orangenen Revolution“ sind die innenpolitische Entwicklung der Ukraine und ihre außen- wie sicherheitspolitische Positionierung weitgehend unklar. Die Ukraine, Belarus und Moldau bleiben auf unterschiedliche Weise innenpolitisch instabil, suchen ihre nach dem Zerfall der Sowjetunion erst 16 Jahre währende Unabhängigkeit zu festigen und ihre unsichere Positionierung im fragilen Beziehungsdreieck EU-Russland-Zwischeneuropa zu definieren. Zwar wäre es verfehlt, von einer Wiedergeburt des „Great Game“ für den eurasischen Raum zu sprechen, aber die Staaten Zentralasiens wie des Kaukasus sind in die Auseinandersetzungen der großen Akteure, also den USA, der EU, Russlands und auch Chinas einbezogen.