Es ist ein eigenartiger Gedanke, dass inzwischen Jugendliche aufwachsen, die sich nicht mehr daran erinnern können, dass es einmal eine deutsch-deutsche Grenze gab. Eine Mauer mitten in Berlin, an der scharf geschossen wurde. Einen zweiten Staat, in dem vieles ganz anders war. Die Erwachsenen wissen das alles noch sehr gut, viele hat es geprägt. Manche von ihnen werden Mieders Buch ihren Kindern in die Hand drücken: Sieh mal, so war das noch vor gar nicht so langer Zeit. Aber auch für erwachsene Leser ist es eine lohnende Lektüre. Plötzlich werden Zusammenhänge deutlich, Verbindungen. Das komplexe Spiel politischer Interessen wird logisch und nachvollziehbar. Wo der Geschichtsunterricht die Themen in viele kleine Häppchen zerhackt, die nach und nach separat durchgenommen werden, erzählt Mieder eine zusammenhängende Geschichte. So, dass man zum Schluss sagen kann: Ach, so ist das gewesen. Jetzt verstehe ich. Er geht zurück bis zum Zweiten Weltkrieg, bis zu den Wurzeln von DDR und Bundesrepublik, und erzählt, wie dann die Siegermächte über Deutschland entschieden und warum. Wie es dann mit dem Westen und Osten Deutschlands weiterging und welche Kulturen sich dort entwickelten. Was sich in beiden Teilen tat, während sie so nebeneinander herlebten, wie es im Westen zum Wirtschaftswunder kommt und im Osten zur Vollversorgung. Wie die Teilung allmählich starrer wird und wie es dazu kommt, dass die Mauer gebaut wird. Wie im Westen die rebellierenden 68er die Gemüter beschäftigen, im Osten die Bespitzelung durch die Stasi. Wie der Kalte Krieg endlich zu Ende geht und wie die Menschen der DDR erfolgreich ihre Freiheit einfordern. Bis zum Jahr 2001 führt Mieder seine Leser, bis zu einer Bilanz nach der Wiedervereinigung. Immer bleibt er so neutral wie nur möglich und drängt dem Leser keine Urteile auf. Etwas anderes wäre bei einem Buch, das sich zu einem großen Teil mit Ideologien beschäftigt, auch nicht akzeptabel. Angenehm ist auch, wie lakonisch-kraftvoll Mieder erzählt. Mieder hat keine Geschichte der DDR geschrieben, sondern eine Geschichte Deutschlands. Gerade die Tatsache, dass er von Ost und West parallel erzählt, quasi die Geschichte zweier Geschwister, ist eine Stärke des Buches. Auf diesem Gedanken baut auch die Rahmenhandlung auf: Bastians Mutter – die im Osten aufgewachsen ist – heiratet Tanjas Vater, einen „Wessi“. So spüren die beiden Jugendlichen, die auf einmal Stiefgeschwister geworden sind, die jüngste deutsche Vergangenheit in ihrem Leben. Auch eine zweite Rahmenhandlung, vielleicht für Erwachsene, hat Mieder eingefügt, die Geschichte des Großvaters Fritz Damerow, der den Zweiten Weltkrieg und die Anfänge der beiden deutschen Staaten erlebt hat. Obwohl beide Erzählstränge viel versprechend anfangen, erweisen sie sich als enttäuschend, sie werden immer flacher, versanden schließlich immer mehr, da ein Spannungsbogen fehlt. Schnell erweist sich – und das ist ja auch der Sinn der Sache – die eigentliche Historie als interessanter. (c) changeX – Online-Magazin für Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft