Um sein Denkmal ungehindert errichten zu können, begann die Familie, sie schamlos zu diffamieren. Mal war sie für den Aristokraten-Clan die Exzentrikerin, das schwatzhafte Dummchen, dann wieder stülpten sie ihr das Bild der Frau als Objekt über, untreu und kokett. Eines war klar, diese Frau störte die beginnenden Bauarbeiten am Mythos ihres verstorbenen Gatten, des französischen Nationalhelden Antoine de Saint-Exupéry, ganz erheblich. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem mysteriösen Flugzeugabsturz des „kleinen Prinzen“ im Juli 1944 geriet halb Frankreich erneut in Aufruhr, als punktgenau zum 100. Geburtstag des heiligen Fliegerhelden die nicht sehr willkommenen Memoiren seiner Frau Consuelo postum erschienen. Einmal mehr zürnte die Familie, von Grabschändung war gar die Rede. Zu viel der Aufregung. Das Denkmal ihres Gatten wird von Consuelo lediglich zurechtgerückt, nicht gestürzt. Zu sehr hatte sie ihn dafür geliebt, diesen ungelenken Charmebolzen, der ihr auf einem Diplomatentreff in Buenos Aires vorgestellt wurde und sogleich um sie zu werben begann. Eitel und ausgeprägt narzisstisch, konnte „Saint-Ex“ stundenlang Geschichten zum Besten geben, die meistens ihn und seine Postfliegerei zum Mittelpunkt hatten. Nach ihrer Hochzeit im Jahre 1930 wurde Consuelo schnell klar, dass sie im selbst gebastelten Heldenepos ihres Gatten lediglich als schmückende Fußnote fungierte. In den Erinnerungen um den nie verwundenen Tod ihres „Tonio“ erscheint ihre Ehe als dreizehnjähriges Explosivgemisch aus ständigen Brüchen und Wiederannäherungen. Immer wieder gelang es der temperamentvollen Frau aus El Salvador jedoch, ihren melancholisch verdüsterten Gatten und chronischen Fremdgänger mit einer geschickten Taktik aus Liebesentzug und künstlerischem Ansporn an sich zu binden. In Frankreich, wo Saint-Exupéry längst zur unantastbaren Ikone erstarrt ist, sollte man für Consuelos Veröffentlichung dankbar sein. Der Kleine Prinz wird bleiben, nur steht dahinter endlich wieder ein Mensch aus Fleisch und Blut. Er verdankt dies einer Frau und ihrer Liebe. –Ravi Unger
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.