Lesezeichen L’art pour l’art der Seele Steffen Kopetzkys «Uneigentliche Reise» Mit viel Lust auf Sterben, Geschichten vom blassen Leben und von heroischen Abgängen aus der Welt der «Kommunikationsangestellten» – ins Wasser, vom Felsen, in die Wüste oder auch nur in zornige ländliche Verbannung –, so präsentierte sich der Bücherfrühling dieses Jahr recht zünftig zum allmählich einzuläutenden Ende unseres fidelen Fin de siècle. «Tja, so unglücklich wie Sie bin ich nicht. Was soll man da machen», liess Botho Strauss in seiner «Trilogie des Wiedersehens» einen genervten Zuhörer einen schlechten Geschichtenerzähler brüskieren. Da war der Autor noch zwanzig Jahre jünger und auch so unglücklich noch nicht, dass er dem Publikum, aus dem er einst seine Figuren rekrutierte, die literarische Satisfaktionsfähigkeit abgesprochen hätte. So unglücklich wie ihr bin ich nicht, ruft der junge Autor Steffen Kopetzky (Jahrgang 1971) mit seinem Débutroman einer uneigentlichen Reise jetzt allen gegenwartskranken oder auch nur gekränkten Dichtern und Denkern zu, die mit einer obskuren Begierde nach Eigentlichkeit geschlagen sind und den Leidensdruck an uns weitergeben. Was kann man da machen? Die Hypochondrie ist zwar kein eigentliches Leiden, aber doch ein Elend. Eine uneigentliche Therapie, eine, die nicht anschlägt, aber auch nicht schadet, wäre wohl die Methode der Wahl. Gleiches mit Gleichem vergelten, etwas Ähnliches praktiziert Steffen Kopetzky auch in seiner «Handenzyklopädie der Grundprobleme Europas am Ende des 20. Jahrhunderts». In einem suggestiven Redeschwall aus sieben Kapiteln travestiert er das surrogathafte Gerede, das endlose Geraune vom Ende, vom Niedergang, von der post-histoire aufs schalkhafteste. – Mögen «die letzten Gewissen», so Kopetzky über die «beschwerten Besserwisser» (so Botho Strauss über sich selbst), vom Untergang träumen. Für ihn sind wir noch längst nicht am Ende. Im Gegenteil. «Alles dauert zu lange . . .» Man steht auf irgendeinem Bahnsteig der «überkommenen Kultur», hat sich in grosser Hektik gründlich von seinen Nächsten verabschiedet, um zu erfahren, dass der Zug Stunden Verspätung hat und die Anschlusszüge niemals kommen werden. «Das Ende ist nah, aber es kommt nicht.» Der Bahnhof ist als Ausgangs- und Endpunkt postmoderner Erzähllabyrinthe ein schier unerlässlicher Topos. Wenn ein Reisender in einer Winternacht: Wie Calvino in seinem Metaroman schickt auch Kopetzky sein Erzähler-Ich von hier aus durch die Labyrinthe des uneigentlichen Geistes. Auf Kreuzfahrt durch die Metropolen – Berlin, Paris, Madrid. Auf Bahnhöfen kreuzen sich die Fluchtwege, man ist verabredet, wartet und während man im Regen stehengelassen wird, lässt man sich mit anderen, die einen mit irgend jemand anderem verwechseln, in Beziehungsgespräche verwickeln, denen man soeben entflohen ist, um sich nach endlosen «gemeinschaftlich verstümmelten» Stunden im Gewirr der Menge, im «Gesang allgemeiner Abgewiesenheit» wieder zu verlieren. Niemand kennt sich mehr aus in diesem «gordischen Labyrinth der Gegenwart». Immerfort geht ein müder Regen auf dieses Europa nieder. Und das sagt schon beinah alles. Wo es nieselt, da geschehen keine grossen Dinge, keine Dramen von Format. Nur deren Schrumpfform, unser Zeitdrama eben: die Hypochondrie. Leidensform der Uneigentlichkeit, L’art pour l’art der Seele, Zustand schier interesselosen Wohlgefallens am Status quo. Die Lage ist ernst, aber doch niemals so ernst, dass man es riskieren dürfte, das fragile Gleichgewicht konzentrierter Problemlösungsvermeidung zu gefährden. Schliesslich sind wir doch alle mit unserer Selbstbehauptung, unserem robusten Willen zur Macht Anteilseigner jeglichen grösseren Schlamassels – und daher machtlos. Und draussen im kalten Kosmos, herrscht da nicht die himmlische Gleichgültigkeit und «in alle Ewigkeit Chaos», wie Nietzsches «Fröhliche Wissenschaft» uns lehrte? Dies scheint das eigentliche Thema Steffen Kopetzkys in seiner «Uneigentlichen Reise» zu sein: in den Abschweifungen und Verzettelungen das leere Kreiseln auf der Stelle, die Selbstblockade, sprich hypochondrische Hypokrisie unserer Kultur mit ihrem reichen Ausdrucksspektrum an Paradoxien fühlbar zu machen. Der Erzähler, ein Verwandter von Nietzsches «Freiem Geist» und ein Pfingstwunder an Zungenfertigkeit übernimmt in diesem Text die Funktion des Jokers, der alle Figuren im Spiel vertreten, doubeln kann. Er ist der Animateur, der Conférencier des vielstimmigen Endzeitgeraunes und wie in der Commedia die lazzi, die komischen Gebärden das Gesagte gestisch verdoppeln, so wird auch hier die heitere Konfusion, von der der Text spricht, mit jedem Satz gleichsam selbst-referentiell erzeugt. Auch die Sätze wollen – wie das Jahrhundert – nicht zum Ende kommen mit ihren Abschweifungen, Verbverhandlungen, Zwischenrufen und zerstreuten Interludien dieses mäandernden Schalk-Monologs. Und jedes Kapitel, ja das ganze Textlabyrinth ist eine Ringkomposition, dreht sich – ewige Wiederkehr des Gleichen – im Kreise und erzeugt ein schönes Schwindelgefühl der Komik, des gereizten Zwerchfells. Allerdings schimmert durch die Risse des Textes immer wieder ein dunklerer Ton. Und die Schellen am Narrenkostüm klingen um so heller, je ärger es die bösen Geister treiben. Die Lösung aber, die der Autor vorschlägt, ist so schlicht und paradox, dass sie eines Father Brown würdig wäre. Wenn alle Lösungen blockiert sind, gibt es nur eins: das Problem selbst ist die Lösung. Verzichten wir auf «sakramentale Identität» (Botho Strauss), auf Emphase, auf den Dünkel, «Verdunkelung würde so oft lichten, Rätselhaftigkeit liesse alle entspannt zusammenkommen». Gabriele Killert
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.