In der Wahrnehmung vieler hat Helmut Schmidt seine wahre Größe erst nach seinem Sturz aus dem Kanzleramt als Elder Statesman entfalten können. Dabei sind die politischen Erfolge seiner Kanzlerschaft alles andere als unbeachtlich. Als eine seiner größten Leistungen wertet Schwelien in seiner lesenswerten Biografie die Wegebnung für die gemeinsame europäische Währung. Gemeinsam mit Giscard D’Estaing nämlich war Schmidt es gewesen, der mit der Umrechnungseinheit ECU den Vorläufer des Euro auf den Weg gebracht hatte. Auch dies verstand der Nachfolger Willy Brandts als Arbeit am Frieden. Überhaupt: Schwelien zeichnet Schmidt vor allen Dingen als Friedenspolitiker, obwohl der Weg, den er um des Friedens willen zu gehen für notwendig ansah, entschieden ein anderer als der war, den die Friedensbewegung und viele seiner politischen Weggefährten Anfang der 1980er-Jahre gehen wollten. Für diejenigen, die damals zu Hunderttausenden gegen den von ihm eingefädelten NATO-Doppelbeschluss auf die Straßen gingen, hat Schmidt noch heute — und heute erst recht — nicht viel mehr als Häme übrig. Gleichwohl werden ihm auch die Gegner von einst zu Gute halten müssen, dass er seine tief empfundenen Überzeugungen niemals den Mehrheitsverhältnissen geopfert hat. Lieber hat er sich als bislang einziger Kanzler mit einem konstruktiven Misstrauensvotum aus dem Amt jagen lassen, als von seiner festen Überzeugung abzurücken. Doch nicht nur in der Frage nach der geeigneten Antwort auf die sowjetischen SS-20-Raketen hat er Konsequenz bewiesen, sondern auch gegenüber der Bedrohung der Republik durch den RAF-Terrorismus. Als eine der schwersten Entscheidungen seiner Amtszeit darf nach wie vor die bewaffnete Befreiung der Geiseln von Mogadischu gelten. Seit langen Jahren ist Helmut Schmidt nun schon Herausgeber der Zeit. Und ebenso lange hatte Michael Schwelien immer wieder Gelegenheit, den ehemaligen Bundeskanzler aus der Nähe zu beobachten und ihm auch persönlich näher zu kommen. Als nicht selten „äußerst ruppig“ und manchmal auch „arrogant“ hat er Schmidt in dieser Zeit erlebt. Aber auch als verbindlich und immer absolut verlässlich. Als im wahrsten Sinne veredelnd auf den Charakter des Hanseaten hat, wie dieses Buch ein weiteres Mal belegt, seine Frau Loki gewirkt, weshalb der Autor mit dem Altkanzler zugleich ein Stück weit auch sie porträtiert hat. Und dies ist ihm wie der Rest auf das Beste gelungen. –Andreas Vierecke
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.