Mit Jules Verne gelangt man lesend In 80 Tagen um die Welt, mit Helge Hesse reist man — nicht weniger spannend — In 80 Sätzen durch die Weltgeschichte. Vom antiken Griechenland („Erkenne dich selbst“, „Alles fließt“, „Ich weiß, dass ich nichts weiß“) bis hin zu Politikersprüchen unserer Tage („Blühende Landschaften“, „Die Renten sind sicher!“, „Die Achse des Bösen“), bei denen man sich nicht ganz sicher ist, ob sie verdientermaßen in die Geschichte eingehen. Aber was überdauern wird und was nicht, entscheidet ohnehin erst die Zeit. Darum geht es Helge Hesse auch gar nicht, er benutzt diese bekannten bis berühmten Sätze vielmehr als günstige Ausgangspunkte für kurzweilige und erhellende, aber nie trockene Exkurse in die Geschichte, aber auch in die Ideen- und Geistesgeschichte, da neben Herrschern, Königen und Politikern auch Philosophen und Wissenschaftler zu Wort kommen. Und ! es ist keine geringe! Leistung, etwa die Gedankenwelt eines Sartre („Die Hölle, das sind die anderen“) oder Wittgenstein („Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“) auf wenigen Seiten verständlich zusammenzufassen. Beim titelgebenden Hier stehe ich und kann nicht anders Martin Luthers zum Beispiel beginnt der sechsseitige Beitrag sehr plastisch mit Luthers Auftritt vor dem Reichstag in Worms im April 1521, aber man erfährt dann auch, wie Luthers Auflehnung gegen die römisch-katholische Kirche begann, wie der Konflikt zur Kirchenspaltung führte und welche politischen Hintergründe dieser hatte. Ob Julius Caesar bei der legendären Überquerung des Rubikon 49 vor Christus wirklich „Die Würfel sind gefallen“ gesagt hat? Die Geschichtsschreiber versichern es uns. Aber natürlich hat bei geschichtlichen Ereignissen und O-Tönen auch immer die Legendenbildung ihre Hand im Spiel. So behandelt ein Beitrag auch Marie Antoinettes „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen“. Aber aus dem ebenfalls sehr lesenswerten Lexikon der Geschichtsirrtümer wissen wir, dass ihr dieses Bonmot in den Mund gel! egt wurde, weil es die Arroganz der Herrschenden am Vorabend der Französischen Revolution so anschaulich illustriert. Der so provokante Satz über das hungernde Volk stammt in Wahrheit aus Jean-Jacques Rousseaus Bekenntnissen. Auch wenn der Autor im Falle Marie Antoinettes also einer Legende auf den Leim gegangen ist, erweist er sich ansonsten als unterhaltsamer und anregender Reiseführer durch 2500 Jahre europäischer Geschichte. –Christian Stahl