Wenn man als freier Schriftsteller permanent zwischen Frankfurt und seiner zweiten Heimat Finnland hin und her reist – und wenn man einen Krimi schreiben will: Wo wird man ihn wohl ansiedeln wollen? Eigentlich ist die Frage eher rhetorischer Natur. Denn Deutschland mag kriminaltechnisch ein heißeres Pflaster sein (ist es das überhaupt?). Aber Finnland, so scheint es Lesern hierzulande, ist weitaus melancholischer, rauer, liebenswerter – und, vor allem skurriler. Deshalb hat der deutsche Autor Jan Costin Wagner den richtigen Schritt getan, als er mit seinem jungen finnischen Ermittler Kimmo Joentaa die Krimilandschaft bereicherte. Nach privaten Schicksalsschlägen wird dieser in Im Winter der Löwen nicht nur mit einer neuen, ungewöhnlichen Liebe konfrontiert, sondern auch mit einem außergewöhnlichen Fall. Nach einer Talkshow im Fernsehen wird ein Gerichtsmediziner und ein Puppenbauer für makabre Leichenpuppen erstochen aufgefunden, der Moderator entkommt nur schwer verletzt einem Anschlag. Joentaa beginnt zu ermitteln, nicht zuletzt, um weiteres Schlimmeres zu verhindern. Dabei kommt er einer furchtbaren Tragödie auf die Spur, die tief hinein führt ins dunkle Herz finnischer Traumata. Versteht sich von selbst, dass sich da auch nach der Lösung des Falls beim Leser nicht tiefe Befriedigung über den Sieg der Gerechtigkeit breit macht, sondern eine noch tiefere – fast möchte man sagen: finnische – Melancholie… Was soll man sagen: Im Winter der Löwen ist ein schönes Buch. Weit und dunkel wie die finnische Landschaft, tief und unergründlich wie ein finnischer See, treu und vielschichtig wie die finnische Seele. Und dabei noch geschrieben in deutscher Sprache, also nicht von einer (oftmals ja schlechten) Übersetzung entstellt. Ja, es stimmt: Mit Im Winter der Löwen hat Jan Costin Wagner alles richtig gemacht. — Stefan Kellerer