Seit dem 27. Oktober 1998 ist Joschka Fischer Vizekanzler und Außenminister der ersten rot-grünen Bundesregierung. Seither erweckt er den Eindruck, als ob ihm Rollen wie diese von Jugend an geläufig wären. Auf dem internationalen Parkett bewegt er sich ebenso souverän wie in heimatlichen Gefilden, und monatelang führte Fischer unangefochten die Beliebtheitsskala bundesdeutscher Politiker an. Dieser vorläufig letzte und für viele sicher überraschende Wandel Joschka Fischers zu einer „Art Stresemann der Bundesrepublik“, wie Sibylle Krause-Burger ihn nennt, war für die Autorin Anlaß, ihre 1997 erstmals erschienene Biographie zu überarbeiten und zu aktualisieren. In Der Marsch durch die Illusionen gelingt es ihr überzeugend, Fischers Persönlichkeit in all ihren Facetten zu erfassen, und die tieferen Wurzeln dieser ungewöhnlichen Entwicklung vom Sponti zum Staatsmann herauszuarbeiten. Denn Joschka Fischers Aufstieg ist in der Bundesrepublik ohne Beispiel. „Seine Entwicklungen sind romanhaft, seine Wandlungen, auch äußerlich, stupend“, charakterisiert Sibylle Krause-Burger dieses Phänomen, und der Schlüssel zu seinem Verständnis liegt für sie weniger in irgendeinem zündenden Ereignis als vielmehr im „Urgrund“ der Person Joschka Fischer selbst. „Es stehe für sie außer Zweifel“, schreibt Sibylle Krause-Burger, „daß dieser Verlauf eines Lebens mit der ständigen Bereitschaft zu tun habe, einen einmal eingeschlagenen Lebensweg wieder zu verlassen, sich zu berichtigen, und zwar radikal, etwas Neues zu beginnen und das Neue schließlich mit großer Energie zu verfolgen und zu vervollkommnen“. Sollte Joschka Fischer einmal nicht mehr im Auswärtigen Amt regieren, so wird er mit der gleichen Selbstverständlichkeit eine andere politische Rolle übernehmen und ausfüllen. Vorausgesetzt, es ist eine Hauptrolle. –Stephan Fingerle