Einleitung: Marktwirtschaftliche Gesellschaften sind von einem grundlegenden Interessenkonflikt zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen geprägt, der unter dem Begriff des „industriellen Konflikts“ diskutiert wird. Während die Arbeitnehmerseite an einem hohen Arbeitseinkommen und einer geringen Arbeitsmühe interessiert ist, streben die Arbeitgeber geringe Lohnkosten und eine hohe Arbeitsleistung der Arbeitnehmer an. Zwar ist der industrielle Konflikt inhärenter Bestandteil der Marktwirtschaft, doch haben sich in unterschiedlichen Staaten verschiedene Formen des Umgangs mit diesem Konflikt entwickelt, die sich in unterschiedlichen Beziehungsmustern zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern niederschlagen und in unterschiedlichen Systemen industrieller Beziehungen ausdrücken. So hat sich auch in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein spezifisches System industrieller Beziehungen herausgebildet. Das deutsche System der industriellen Beziehungen und dessen Veränderungen innerhalb der letzten 15 Jahre sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Ziel ist es, einen Überblick über den Stand der Entwicklung der industriellen Beziehungen zu liefern, die spätestens seit Beginn der 1990er Jahre im Zentrum einer breiten öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte stehen. Im Rahmen der Arbeit sollen Antworten auf zwei leitende Fragestellungen gefunden werden: Wie hat sich das System der industriellen Beziehungen in Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre verändert? Können die beobachteten Veränderungen als Modellwechsel interpretiert werden oder überwiegt das Moment der Kontinuität? Gang der Untersuchung: Um diese Fragen beantworten zu können, werden in Kapitel 2 zunächst die typischen Strukturmerkmale des deutschen Systems industrieller Beziehungen herausgearbeitet. Insbesondere ist hier die Dualität der Interessenvermittlung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zu beleuchten, die eine funktional differenzierte Aufgabenteilung zwischen zwei Arenen der Konfliktbewältigung ermöglicht. Diese sind zum einen auf der Ebene betrieblicher Mitbestimmung, zum anderen auf Ebene unternehmensübergreifender Tarifregelungen angesiedelt. Im weiteren Verlauf sollen die Besonderheiten beider Arenen, die als tragende Säulen des deutschen Systems industrieller Beziehungen betrachtet werden können, dargestellt werden. Besonders die unternehmensübergreifende Ebene und damit ein konstitutiver Bestandteil des deutschen Systems industrieller Beziehungen ist jedoch verstärkt in die Kritik geraten. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die tradierten Muster der Bewältigung des industriellen Konflikts auch in Zukunft Bestand haben können. Die Debatten um die Zukunftsfähigkeit der auf unternehmensübergreifender Ebene ausgehandelten Flächentarifverträge sind Thema des dritten Kapitels und beziehen sich auf unterschiedliche veränderte Rahmenbedingungen. Hierzu zählen der Wandel von einer Industrie- zu einer Dienstleitungsgesellschaft, der eine veränderte Arbeitsorganisation mit sich bringt sowie die Frage, ob die westdeutschen Muster der Bewältigung des industriellen Konflikts auch in den 1990 beigetretenen neuen Bundesländern funktionieren würden. Zudem wird die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft im Rahmen von Globalisierung und europäischer Integration als Belastungsprobe für das deutsche System industrieller Beziehungen und insbesondere für die unternehmensübergreifende Ebene diskutiert. Die Frage, wie sich das deutsche System industrieller Beziehungen vor dem Hintergrund der aufgezeigten neuen Rahmenbedingungen verändert hat, ist Gegenstand des vierten Kapitels. Dabei sind zwei Dimensionen des Wandels zu unterscheiden: Zum einen die quantitativen Entwicklungen der Verbreitung unternehmensübergreifender Tarifstandards sowie der Mitgliederzahlen und Organisationsgrade von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, die im Auftrag ihrer Mitglieder unternehmensübergreifende Arrangements aushandeln. Zum anderen ist zu diskutieren, ob sich flächentarifliche Arrangements in inhaltlicher – also qualitativer Weise – verändert haben und ob sie auch heute noch als verbindliche branchenbezogen Richtgröße betrachtet werden können. Im fünften und letzten Kapitel sollen die erarbeiteten Ergebnisse überblicksartig zusammengefasst und eine Antwort auf die Leitfragen der Arbeit gefunden werden. Abschließend soll ein Ausblick über die mögliche weitere Entwicklung des deutschen Systems industrieller Beziehungen gewagt werden.