„Ein Junge, der am Tage stramm gearbeitet hat, hat nach dem Feierabend keine Neigung für dumme Streiche mehr.“ Recht gesprochen! Und so jagten die Mitarbeiter Bethels, des „Hauses Gottes“, getreu dem Motto Gustav von Bodelschwinghs, in den 50er-Jahren ihre Heimzöglinge der Diakonie Freistatt zum Torfstechen ins Moor. Schwerstarbeit, sommers wie winters. Nützliche Mitglieder der Gesellschaft sollten so wieder aus ihnen werden. Den Nutzen hatten nur die Bodelschwinghschen Anstalten. Man möchte dreinschlagen wie weiland Jesus im Tempel, angesichts all der frömmelnden Nachfahren Don Boscos, der „Guten Hirten“ und „Barmherzigen Schwestern“, die auf den Fotos ihre Schutzbefohlenen mit mitleidlos frommer Miene schurigeln. Ein Buch hat sie nun alle aufgescheucht. Das Medienecho ist gewaltig! Bis weit in die 70er-Jahre war es für aufsässige Minderjährige ein leichtes, im Heim zu landen. Unstatthafte Lebensweise, „sexuelle Verwahrlosung“ – jedwede soziale Auffälligkeit konnte denunzierende Lehrer, Nachbarn, Jugendbehörden, oder die mächtigen Kirchen auf den Plan rufen. Wie im Falle Gisela Nurthen, die mit fünzehn im Dortmunder „Vincenzheim“ den unbarmherzigen Nonnen in die Hände fiel. 1961 ging so etwas schnell vonstatten: Frühreif. Legere Kleidung. „Negermusik“. Für Nachbarn und Jugendamt eindeutige Signale zum Einschreiten. Im heutigen Mutterhaus der Vincentinerinnen will auf Befragen niemand etwas von Isolationshaft, Schlägen und drakonischen Strafen gehört haben! Holzpritsche ohne Matratze. Blecheimer für die Notdurft. An das „Besinnungszimmer“ immerhin erinnert sich der Bundesverdienstkreuzträger und „Pater der Herzen“, als er mit seinem ehemaligen Zögling Gerald Hartford konfontiert wird. Ansonsten weist Hartfords ehemaliger Peiniger, der joviale Salvatorianerpater Vincens, in Berlin ein gern und häufig gesehener Talkshow-Gast, jede Schuld von sich. Nach diesem Buch hat dies keinen Sinn mehr. Tatorte und Täter sind bekannt. Die Schleusen sind geöffnet. Einige Kinder und Jugendliche, im Nachkriegsdeutschland aus nichtigem Anlass in rund 3.000 Heimen weggesperrt und zu Zwangsarbeiten degradiert, haben als Erwachsene ihre Scham überwunden und gesprochen. Es gibt noch Hunderttausende von ihnen! –Ravi Unger