Es gibt immer mehr psychische und psychosomatische Krankheiten. Über die Ursachen kann man im Einzelfall sicher spekulieren, allerdings trägt m.E. die Gesellschaft insgesamt einen bedeutenden Anteil dazu bei.
– Früher hatte man meist einen festen Arbeitsplatz bis zur Rente, möglicherweise sogar in dem Unternehmen, in dem man schon die Ausbildung gemacht hat. Man mußte sich praktisch nur einmal auf das Umfeld einstellen und wußte dann, was man zu tun hatte. Heute ist das selten geworden. „Betriebsbedingte“ Kündigungen, Kurzarbeit, Nebenjobs etc. – die wenigsten können sich noch sicher sein, daß sie ihren jetzigen Arbeitsplatz auch in ein paar Jahren noch haben. Oft ist man gezwungen, sich einen neuen Arbeitsplatz zu suchen, sich wieder erst an das Umfeld gewöhnen zu müssen und sich evtl. auch auf andere Aufgaben einzustellen. Statt mit Kollegen zusammenzuarbeiten und sich ggf. gegenseitig zu helfen, herrscht oft ein Konkurrenzkampf, bei dem jeder jeden eins auswischen will. Sollte es nicht vielmehr egal sein, WER im einzelnen genau was beigetragen hat und sollte man sich nicht einfach gemeinsam freuen, wenn man etwas „als Mensch für die Menschheit“ geschafft hat?
– Früher hielten Familien noch stärker zusammen, es gab häufiger Mehrgenerationenhäuser und es war ganz normal, daß sich z.B. die Eltern und Großeltern mehr oder weniger gemeinsam um die Kinder kümmerten. Wenn die Eltern mal keine Zeit hatten, gingen die Kinder eben zu den Großeltern. Heute sind Familien oft „verstreut“, es wohnt nicht unbedingt jemand im unmittelbaren Umfeld, wenn man kurzfristig mal Hilfe braucht, sondern alles muß aufwendig geplant werden und auch privat müssen überall Termine eingehalten werden. Hinzu kommt, daß teilweise nicht mal die Eltern mit den (minderjährigen) Kindern zusammenleben, sondern es immer mehr Bastarde und verkorkste Familienverhältnisse gibt. Daß das weder für die Kinder noch für die Eltern gut ist, ist offensichtlich. Statt mal spontan handeln zu können, muß alles von vorne bis hinten durchorganisiert sein und Streitigkeiten sind vorprogrammiert.
– Wieso meint heutzutage jeder ein Handy haben zu müssen? Im Endeffekt bedeutet das „immer erreichbar zu sein“ nur zusätzlichen Streß. Damit verbunden ist oft ja auch eine gewisse Erwartung, jemanden informieren zu müssen. Aber was ändert es, wenn ich zu Hause anrufe und sage, daß ich im Stau stehe und etwas später komme? Also, ich brauche das nicht und früher ging es doch auch, ohne daß man jeden sofort über jede Kleinigkeit informiert hat oder alle paar Minuten jemand angerufen hat, um zu fragen wo man ist oder wie lange es noch dauert. Damit setzt man sich nur gegenseitig unter Druck, obwohl man sowieso nichts ändern kann.
Ist ein Mensch heutzutage überhaupt noch ein Mensch? Ich habe eher den Eindruck, man soll eine Maschine sein, die jederzeit perfekt funktionieren soll und problemlos austauschbar ist. Dann ist es allerdings auch kein Wunder, wenn Menschen krank werden, sie irgendwann entweder aggressiv reagieren und andere „niedermachen“, in der Hoffnung sich selbst durchzusetzen oder wenn sie die Motivation verlieren und in irgendeiner Weise „abstürzen“ – sei es in eine Sucht, eine Depression o.ä.
Warum tut die Menschheit sich so etwas an? Wieso ändert man nicht an der „sozialen“ Sicherheit im Arbeitsumfeld und innerhalb der Familie etwas, statt mit Therapien und sogenannten (finanziellen) „Sozialleistungen“ dort anzusetzen, wo es eigentlich schon zu spät ist?