Copyright: Aus Das Buch der 1000 Bücher (Harenberg Verlag) Das große Protokoll gegen ZwetschkenbaumOA 1964 Form Roman Epoche ModerneDie Geschichte von Schmul Zwetschkenbaum, einem k. u. k.-Ahasver, der das Unglück anzieht wie das Licht die Motten, wurde bei ihrem Erscheinen zu einem großem Erfolg und verhalf Drach zu seinem literarischen Durchbruch. Der Roman bietet neben der eindrücklichen Schilderung altösterreichischer sozialer Welten eine der intelligentesten Interpretationen dessen, was gemeinhin als Antisemitismus bezeichnet wird.Inhalt: Leib Schmul Zwetschkenbaum, 24 Jahre alt, ledig, von Beruf Talmudschüler und ohne festen Wohnsitz, gerät gegen Ende des Ersten Weltkriegs wegen Vagabundage- und Diebstahlverdachts in die Fänge der österreichischen Justiz. Die Rast unter einem Zwetschkenbaum ist ihm zum Verhängnis geworden. Frisch ausgespuckte Zwetschkenkerne sind einem Gendarm Beweis genug, dass sich der dort vorgefundene und über keine Papiere verfügende Jude sich des Diebstahls schuldig gemacht habe und der Justiz zuzuführen sei. Den Arretierten ficht das nicht allzu sehr an. Auch im Gewahrsam vertieft er sich unbeirrt in seine Gebetsbücher, preist Gott und die Schönheit der Welt. Von seinen Mitgefangenen unverstanden und verprügelt, attestieren ihm drei Gutachter jeweils unterschiedliche Formen der Geisteskrankheit und veranlassen seine Überstellung in eine Irrenanstalt. Unwahrheit und Nichtigkeit der ursprünglichen Anklage geraten dabei bald außer Acht. Es beginnt eine grotes-ke Odyssee voller Missverständnisse, Böswilligkeiten und bedeutungsvoller Banalitäten. Zwetschkenbaum verhält sich völlig passiv, er tut nichts, ihm wird angetan – und was ihm angetan wird, wird ihm zur Last gelegt.Unverhofft scheint sich das Blatt zu wenden: Aufgrund der Einsicht eines Beteiligten, dass Zwetschkenbaum Unrecht widerfahren ist, wird er zum verhätschelten Vorzugsinsassen und gewinnt schließlich die Freiheit wieder. Gerissene Betrüger, Glaubensbrüder noch zudem, nutzen jedoch seine Naivität aus und lassen ihn gestohlene Ware verkaufen. Wegen Hehlerei wird er erneut verhaftet – der Teufelskreis schließt sich. Zwetschkenbaum bleibt nichts als die abschließende Beteuerung, er habe die Zwetschken nicht gestohlen. Struktur: Erst auf der letzten Seite erfährt der Leser, was es mit diesem Protokoll auf sich hat. Dort nämlich trägt der Richter im »Fall Zwetschkenbaum« einem jungen Gerichtsreferendar auf, die Vorkommnisse um den verdächtigen Juden gehörig zu belichten und in adäquater Form niederzuschreiben. Das Ergebnis dieses Auftrags ist das Drachsche Paradestück in Kanzleideutsch, ein Dokument der Vorurteile und Gemeinheiten, der Bürokratenallmacht und der Missachtung des Individuums, die sich im Missbrauch der Sprache spiegelt.Wirkung: Als der bereits 1939 geschriebene Roman 1964 veröffentlicht wurde, begrüßte ihn die Kritik als künstlerisch originelles Werk und bedachte ihn mit großem Lob. Um Drach wurde es jedoch rasch wieder still und erst als dem Autor 1988 der angesehene Büchner-Preis verliehen worden war, wurde neben anderen Werken auch Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum neu aufgelegt. R. F.
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.