Ein Junge verpasst den Schulbus, zwei Teenager flirten im Freibad, und ein Greis wartet im Laden. Silvio Huonder beginnt seine Geschichten mit Alltagssituationen und Allerweltstypen und lullt den arglosen Leser ein – nur um dann zuzuschlagen. Das Schulkind muss zusehen, wie seine irre Mutter abgeführt wird; der Teenagerflirt wird zum Überlebenskampf; der demente Alte bemerkt, dass er in seinem eigenen Laden steht. „Wieder ein Jahr, abends am See“ ist eine Sammlung großteils unveröffentlichter Kurzgeschichten, mit der sich der Schweizer Huonder als Meister überraschender Wendungen erweist. Mitten im schnöden Alltag passieren unerwartete Dinge – die aber nie konstruiert wirken. Im Gegenteil: Man wird das Gefühl nicht los, so etwas könnte auch einem selbst zustoßen. Huonder schürt Ängste, bleibt sprachlich jedoch unaufgeregt und nüchtern. Große Gefühligkeit würde den Abgründen in seinen Geschichten aber eh nur die Schärfe nehmen – und das will Silvio Huonder nicht. Am Ende lässt er die Leser allein mit der Misere, verweigert Antworten. Das Leben geht trotzdem weiter. Und sei es nur in Form einer blinkenden Ampel vor dem Zimmer des verlassenen Schuljungen. (kat)