Der portugiesische Schriftsteller Antonio Lobo Antunes, der seit einigen Jahren immer wieder als möglicher Nobelpreisträger genannt wird, ist ein Chronist des politischen Grauens. In seinen kunstvoll konstruierten Büchern verarbeitet er Geschehnisse der jüngsten portugiesischen Geschichte und bricht Tabus wie unbequeme Wahrheiten, die Portugal bis heute nicht verarbeitet hat und dessen Schrecken als kaum wahrnehmbar erscheinen. Es geht um den Kolonialkrieg in Angola und die faschistische Diktatur des Salazar-Regimes. Das Handbuch der Inquisitoren spielt kurz vor und nach der Nelkenrevolution, mit der das rechtsgerichtete Salazar-Regime 1974 entmachtet wurde. Im Mittelpunkt des Romans steht ein Minister des Salazar-Regimes, den alle nur Herr Doktor nennen. Er genießt viele Privilegien und besitzt ein Landgut, das Ausdruck seine Macht ist. Im Buch kommen die Personen zu Wort, die unter dem Minister zu leiden hatten. Zu Wort kommen u.a. sein Sohn, der vom Vater als Trottel hingestellt wurde, Köchin und Kindermädchen schildern von der beklemmenden Atmosphäre auf dem Landgut, äußern aber auch unverhohlen verblendete Begeisterung für den mächtigen Mann. Alle leiden — vor allem die untersten weiblichen Angestellten, die er als sexuelles Freiwild betrachtet, vergewaltigt und schwängert. Gegenüber einem anonymen Interviewer berichten die Personen monologisch und getrieben von unbewältigten Erinnerungen an diese Zeit. Ihre Berichte sind quälend, ihre Schilderungen haben oft fragmentarischen Charakter und werden immer wieder unterbrochen von Wortfetzen, Bemerkungen des Herrn Doktor, die zeigen, wie viel Macht das Grauen auch Jahre nach den Ereignissen noch über sie hat. Das Landgut des Herrn Doktor ist ein Mikrokosmos der gesellschaftlichen Verhältnisse. Unmerklich ensteht das Bild des alltäglichen Lebens inmitten der Diktatur, ein Leben der Rechtlosigkeit, dessen Grundstimmung durch blitzschnell und unerwartet hereinbrechenden Terror gekennzeichnet war. Das Handbuch der Inquisitoren ist ein grollendes und packendes Wutfurioso, geschrieben mit der eisernen Hand einer kritischen Entrüstung, ein leidenschaftlich gezeichnetes Opfergemälde, ein literarischer Blick von unten. Die Monologe, mit denen die Menschen die Verhältnisse unter der Diktatur beschreiben, treiben sie um wie eine offene Wunde, zerrissen beschwören sie immer wieder mit Erinnerungsfetzen die unbewältigte Zeit, wiederholen einmal geäußerte Gedanken, als ließe sich der erlebte Schrecken durch mehrmaliges Aussprechen bewältigen, unterbrechen sich selbst. Wie Bomben fallen Worte des Doktors, Ausrufe oder Befehle in diese Erinnerungen ein. Lobo Antunes erzählt in Handbuch der Inquisitoren mit einer unglaublich wuchtigen und virtuosen Sprachklaviatur, mit wenigen Worten kann er eine ganze Bilderwelt erschaffen. Seine Sprache ist voller wirklich eindrucksvoller Metaphern, die den Leser schnell in seinen Bann ziehen. Das Handbuch der Inqusitoren ist die engagierte Aufarbeitung verdrängten Schreckens, geschrieben mit einer flammenden Raserei, die manchmal wie ein Fieber wirkt. –Christoph Steven
— Dieser Text bezieht sich auf eine andere Ausgabe:

Taschenbuch
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