Halbherzigkeiten sind seine Sache nicht. Wenn Joschka Fischer etwas macht, dann geht er ganz in seiner Rolle auf. Und wenn er von etwas überzeugt ist, entwickelt er enorme Energien, andere auf seinen Weg zu zwingen. Das Problem ist nur, dass er scheinbar von nichts lange überzeugt ist, was ihn nicht weiterbringt. Das hat ihm den Ruf des Opportunisten eingebracht. Dass es sich der Metzgersohn aus der württembergischen Provinz auf seinem windungsreichen Marsch durch die Institutionen vom großen Zampano der linksradikalen Frankfurter Spontiszene zum seriösen Vizekanzler und außenpolitischen Musterknaben moralisch niemals leicht gemacht hat, belegen die Journalisten Matthias Geis (Die Zeit) und Bernd Ulrich (Tagesspiegel). In ihrem Buch mit dem bezeichnenden Titel Der Unvollendete. Das Leben des Joschka Fischer zeichnen sie den Werdegang des Grünen nach. Vortrefflich illustriert mit einer Fülle teils privater, teils erstmals veröffentlichter Fotos, die oft mehr als tausend Worte sagen, dokumentieren die Autoren die unglaublichen Metamorphosen Fischers. Ihrer Einschätzung nach hat der Spitzenpolitiker wie kaum ein anderer den grünen Widerspruch aus Oppositionsgeist und Machtstreben, den Angriff auf alles Etablierte und zugleich die Sehnsucht danach verkörpert. Es geht ihnen dabei nicht nur um eine weitere Biografie oder gar eine Abrechnung. Davon gibt es bereits mehr als über manch Altgedienten. Geis und Ulrich interessiert vielmehr das Phänomen Fischer. Wie es etwa kommt, dass sich ein Schulabbrecher zum anerkannten Intellektuellen und Ideologen des Klassenkampfes aufschwingen konnte. Wie es einem politisch desorientierten Verlegenheits-Grünen gelang, sich die widerspenstige Anti-Establishment-Partei gefügig zu machen und als Vehikel zur Machtteilhabe zu instrumentalisieren. Oder wie es möglich sein konnte, dass ein enttarnter ehemaliger Polizistenschläger der Liebling der Nation bleiben konnte. Trotz ihres Hangs zum Psychologisieren ist Matthias Geis und Bernd Ulrich ein rundum spannendes, gut lesbares und auch in seiner Knappheit bestechendes Buch gelungen — auch auf den Verdacht hin, dass die beiden hier und da ungewollt Fischers mit Leidenschaft betriebener Selbstinszenierung und Legendenbildung aufgesessen sein könnten. –Roland Detsch
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.