Für die mittelalterliche Feudalgesellschaft bedeutete die Institution der Ehe vor allem zweierlei: den Fortbestand eines Geschlechts und die Wahrung des Besitztums. Der Kirche hingegen war sie ein willkommenes Instrument, die sündige Wollust zu bannen. Dass in einer solchen Praxis das Dasein der Ehefrau eher ein zweitrangiges war, liegt auf der Hand — auch wenn die zeitgenössische mittelalterliche Literatur in den meisten Fällen eher das Gegenteil glauben machen wollte. George Duby (1919-1996) war einer der renommiertesten Mediävisten des französischsprachigen Raums. Seine Untersuchungen des europäischen Mittelalters fanden abseits der bloßen Aufzählungen von Herrschaftsabfolgen der Könige und Kaiser statt. Vor allem ihm verdankt die Wissenschaft den Blick auf das soziale Leben dieser Epoche — letztlich nämlich hat er es dem ideologischen Schleier entrissen, hinter dem es lange verborgen war. Mit Die Frau ohne Stimme hat der Wagenbach Verlag nun vier der wichtigsten — fast schon programmatisch zu nennenden — Schriften Dubys zu den Themen Ehe und Liebe im Mittelalter zusammengestellt, die sich nicht nur an Studenten der mittelalterlichen Geschichte oder der Philologie wenden wollen. Dubys klare Ausdrucksweise und tiefgründige Schilderung des sozialen Lebens einer vergangenen Epoche ist eine verlockende und anregende Lektüre. –Stefan Wölfel
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.