Sighard Neckels Essays drehen sich — der Titel seines Aufsatzbandes sagt es schon — um ein klassisches Thema der Soziologie, um Distinktion. Distinktion, symmetrisch als Differenz oder asymmetrisch als Unterscheidung gesehen, hat gegenwärtig auffallende Konjunktur. Allerdings werden die feinen und weniger feinen Unterschiede und Unterscheidungen nicht mehr unter den Voraussetzungen der Klassengesellschaft beobachtet, sondern unter der Bedingung der Freisetzung des Individuums aus seinem traditionellen sozialen Milieu, seinen sozialen Bezügen und alten Abhängigkeiten. Mit dieser Individualisierungsthese geht gerne die These vom Verschwinden des Subjekts einher, zumindest die These von der Fragmentierung des Ichs, der Patchwork-Identität. „Multiple Subjekte sollen sich“, wie Neckel schreibt, „die Laufstege des Sozialen erobern, enttäuschungsfest und änderungsfähig“, wobei das Zentrum ein Ich wäre, „das gerade in seiner Variationsbreite innere Souveränität und Einzigartigkeit demonstriert“. Doch auf dem Arbeitsmarkt und anderen ökonomischen Konkurrenzsituationen, darauf weist Neckel hin, werden Kriterien des Erfolgs relevant, die dann doch wieder die ganze Person als Bedeutungsträger umfassen. Freilich, im Konzept von Individualität, ist „ganze Person“ zu sein wiederum nur eine marktorientierte Leistung, wobei zu dieser Leistung das richtige Fühlen gehört. Neckels Diktum, dass Gesellschaft eine Tatsache ist, die nicht emotionslos erfahren wird, verdanken sich mit die spannendsten Artikel des Bands, der die veränderte und erweiterte Neuauflage der Erstausgabe von 1993 ist. In seinen scharfsinnigen Analysen der sozialen Gestalt von Gefühlen wie Neid, Wut, Scham oder Unterlegenheit, spürt Neckel den Pathologien der Individualisierung nach und zeigt, dass die alten Kämpfe um Macht, Prestige und Status auch im neuen Gewand postmoderner, pluraler Lebensstile nicht weniger bösartig sind als zuvor. Es macht übrigens einen Unterschied, dass die Mehrzahl der Essays ursprünglich in Zeitschriften wie Merkur, Ästhetik und Kommunikation oder Alltag erschienen sind. Darauf kann man jedenfalls den vollkommen jargonfreien, gut lesbaren Stil von Die Macht der Unterscheidung zurückführen. –Brigitte Werneburg