Das dreigliedrige deutsche Schulsystem ist streng genommen viergliedrig – nimmt man die Sonder- und Förderschulen hinzu. Die Autorin, Sonderschulpädagogin, nimmt diese genau unter die Lupe. Entstanden ist dabei viel mehr als ein Lehr- und Lerntext in Sachen Sonder- und Sozialpädagogik. Am Beispiel der Kinder, die mehr noch als Hauptschüler an spezielle Schulen „abgeschoben“ sind, verdeutlicht sie besonders klar das selektive Wesen der deutschen Schulpädagogik. Das Buch regt über den fachlichen Kontext hinaus zum Nachdenken über die Aufgaben moderner Pädagogik an. Selektion kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Die Integrationspädagogen – die Berufsbezeichnung ist durchaus programmatisch zu verstehen – haben die Abschaffung des gegliederten Schulsystems zum Ziel, also die Integration von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten in die Regelschulen. Bereits der PISA-Gewinner Finnland zeigte ja, wie erfolgreich gemeinsames Lernen funktionieren kann. Dabei ist dieses Buch frei von lärmender Propaganda. Die Autorin wirbt leise und wissend für ihr Anliegen und ihre Schüler. Leserbriefe betroffener Eltern, Kinderreaktionen und Beispiele aus der Praxis zeichnen ein differenziertes Bild einer Schule, die die Schüler fördert und fordert, ohne sie auszugrenzen. Die Mittel dazu sind da, allein die Traditionen sind – zum Teil – andere. Doch die Welt ändert sich, und dies gilt auch für die Schule: Die rigorose Einteilung des Unterrichts in Fächer weicht zusehends auf; die Schule wird mehr und mehr zu einem Lebensort, der mehr ist als ein bloßer Lernort. Und schlechte Schüler sind nicht mehr ausschließlich Ausdruck individueller Unzulänglichkeit, sondern auch Folge einer verfehlten Pädagogik, die diesen Schülern nicht gerecht wird. In dieser Situation hat gerade die Integrationspädagogik Lösungen anzubieten – und das nicht nur für Sonderschüler. Fazit: Ein nachdenklich stimmendes Buch, das jenseits alarmierender PISA-Zahlen und sozialer Undurchlässigkeit die Schüler im Blick behält und für eine humane und gerechte Pädagogik konkrete Ansätze anbietet. — Dr. Stefan Rusche, Literaturtest