Die jeweilige türkische Regierung hat für ihr Land in den vergangenen Jahren immer wieder mit Vehemenz das Recht eingefordert, Mitglied der Europäischen Union zu werden. In der EU indes gehen die Meinungen darüber auseinander, ob man das Land am Bosporus, dessen größter Teil nicht in Europa liegt, sondern in Asien, tatsächlich mit dem Status eines Vollmitglieds in die Gemeinschaft aufnehmen soll, oder ob man sich nicht vielleicht besser mit einer nur „privilegierten Partnerschaft“ gegen die Unwägbarkeiten der türkischen Politik wappnen sollte, von denen man befürchtet, sie könnten die EU überfordern und vielleicht sogar in eine tiefe Krise führen. Tatsächlich, das macht Dieter Sauter mit seinen Reportagen über „die neuen Kräfte am Bosporus“ deutlich, ist die politische Situation in der Türkei mit vielen Unwägbarkeiten und Disparitäten belastet. Sehr anschaulich schreitet der Autor in vier großen Kapiteln die Brennpunkte der türkischen Politik und Gesellschaft und ihrer Rolle in der Welt ab: Die im permanenten Fluss befindliche politische Parteienlandschaft, die krisenanfällige Volkswirtschaft, den Widerstreit zwischen Kemalisten und den Kräften des politischen Islam, die Macht des Militärs, die nach wie vor missliche Lage der Menschenrechte, den Konflikt zwischen Türken und Kurden, die geopolitische Bedeutung des Verhältnisses zu den USA und zu Europa. Auf die Kernfrage freilich, wie es denn nun die EU mit der Türkei halten soll, mag man auch nach der Lektüre des in vielerlei Hinsicht gleichwohl sehr aufschlussreichen Buches keine eindeutige Antwort geben: Die Unsicherheit, wie man das politische Geschehen in der Türkei einzuordnen habe und welche Schlüsse man daraus ziehen sollte, ist am Ende eher größer als zuvor. Eines aber macht Türkisches Roulette in der Gesamtschau doch recht deutlich, und das dürfte für die Entscheidungsfindung durchaus von Bedeutung sein: Wenn es denn so etwas wie „die“ Türkei geben sollte, die man als wirkliche politische Handlungseinheit begreifen könnte (was freilich nicht der Fall ist!), dann spielt dieses Land seit Jahren mit seiner politischen Zukunft tatsächlich so etwas wie Roulette. Und Roulettespieler haben bekanntlich sehr unterschiedliche Motive. Manche hat die Verzweiflung zu diesem Spiel getrieben, andere meinen, die Gesetze des Zufalls (bzw. hier: von Macht und Politik) durchschaut zu haben und gezielt zu ihren Gunsten manipulieren zu können, wieder andere lieben ganz einfach den Thrill, diese Mischung aus Ungewissheit, Euphorie und Verzweiflung, die sich einstellt, wenn die Kugel erst einmal rollt. In der Türkei kann man sämtliche dieser Motive beobachten — was das Land für Europa nicht eben attraktiver macht? — Andreas Vierecke, Literaturanzeiger.de