Peter Handke scheint seit Jahren an einem einzigen großen Buch zu schreiben. Nun hat er ein neues Kapitel daraus vorgelegt. Im Residenz Verlag erschien unter dem Titel Am Felsfenster morgens ein umfangreicher Band mit Aufzeichnungen, die der Autor zwischen 1982 und 1987 niederschrieb, also während jener Jahre, in denen er mit seiner Tochter in Salzburg lebte. Knappe Notate finden sich darin, manchmal Aphorismen ähnlich, Beobachtungen, Fragmente, (Selbst-)Aufforderungen, Lektüreeindrücke, Meditationen, und immer wieder Reflexionen über Sprache, das Schreiben und seine Möglichkeiten. Nachdem sich Handke vom Lauten, von der publikumsbeschimpfenden Provokation seiner früheren Werke abgewendet hat, sucht er nach der „Kehre“ seines erzählenden Werkes zu Beginn der achtziger Jahre auch in diesen Aufzeichnungen die Stille, das Langsame, die Hinwendung zu den Dingen. In einer Zeit, die Theodor W. Adorno der „universalen Munterkeit“ zieh und die Paul Virilio auf den Begriff des „rasenden Stillstandes“ brachte, war und ist das für viele abermals provozierend — es war schon oft zu hören, dass der Autor inzwischen wohl endgültig „fromm“ geworden und nicht mehr ernstzunehmen sei. Aber Handke geht es gar nicht so sehr darum, Aufsehen zu erregen. Er beschäftigt sich mit seinem eigenen Leben, mit dem, was Sprache leisten könnte, mit der Anschauung der Dinge und der Natur. Nichts weniger als eine Verbrüderung des Seienden schwebt ihm vor. Eine Sprache, die wirklich „spricht“, eine „Stunde der wahren Empfindung“ nach all den (privaten) Bürgerkriegen unserer Jahre, ein geglückter Tag, vielleicht ein Jahr, in dem es sich leben ließe. Sein Programm ist ebenso romantisch wie modern. Der Blick auf das Aufgehen in der Natur geht einher mit immer neuen Versuchen der Verschriftlichung von Erfahrung und unablässiger Selbstbefragung. Denkt man an Handkes Seelenverwandten Hermann Lenz, den von ihm geschätzten Stuttgarter Schriftsteller und eigensinnigen indirekten Nachfahren Schwäbischer Romantik, lässt sich an Am Felsfenster morgens mitverfolgen, wie Handke in den achtziger Jahren mehr und mehr zum Gehenden — in Lenz‘ Sinne zum „Wandernden“ geworden ist. –Matthias Kußmann