Berlin in den frühen 1940er-Jahren, zurzeit und auf dem Höhepunkt also der nationalsozialistisch errichteten Pracht deutsch-arischer Familienherrlichkeit. Eine verbotene Liebe, eine von der Art, wie sie in den Augen der herrschenden Unmoral verworfener kaum hätte sein können. Man stelle sich vor: Eine „arische“ Ehefrau und Mutter zweier Kinder verliebt sich in eine Frau — noch schlimmer: in eine Jüdin! Und sie tut dies mit Konsequenz. Sie verlässt Mann und Kinder, will tatsächlich mit dieser blutjungen lesbischen Jüdin ein neues Leben beginnen. So beginnt die Geschichte von Lilly Wust und Felice Schragenheim, einem Millionenpublikum in aller Welt besser bekannt als Aimée und Jaguar. In 13 Sprachen wurde das Buch übersetzt, die Verfilmung mit Preisen überhäuft. Es ist eine wahre Geschichte, eine kurze und eine traurige. Im August 1944 wird „Jaguar“ Felice Schragenheim, die Nichte Lion Feuchtwangers, deportiert. Vermutlich im März 1945 stirbt sie in Bergen-Belsen. Der offizielle Totenschein datiert auf den 31. Dezember 1944, „Todesursache: Embolie“. Der nun von Erica Fischer vorgelegte Band Das kurze Leben der Jüdin Felice Schragenheim ist eine Art Familienalbum. Kommentierte Fotografien und faksimilierte Dokumente, Tagebucheinträge, Gedichte, persönliche Notizen und Briefe markieren die Stationen dieses Lebens, das tragischerweise zur Unzeit am falschen Platz begann und deshalb, kaum hatte es begonnen, viel zu schnell wieder zu Ende war. Zu Ende gebracht von Leuten, die befanden, es dürfe nicht geduldet werden, und die die Macht und die Helfer hatten, diesen Willen durchzusetzen. Wie willkürlich das Schicksal Menschen der Macht dieser Nazi-Barbaren überließ, davon gibt dieses sehr persönliche Album Kunde. Außer Dokument des Lebens und Liebens der Felice Schragenheim ist es auch — nicht minder bewegend — ein Dokument des kurzen Glücks und der langen Trauer der hinterbliebenen „Aimée“ Lilly Wust. –Andreas Vierecke