„Am nächsten Tag befand sich die ganze Stadt im Schockzustand. In den wie immer vollen Straßenbahnen herrschte absolute Stille. Selbst die Frauen, die ja meist recht wenig vom Fußball verstehen, wußten, was am Abend zuvor passiert war und unterhielten sich nur flüsternd. In den Betrieben, Berufsschulen, Ämtern und Behörden sah es nicht viel anders aus. Dresden lebte vom und mit dem Fußball. Er war mehr als nur Passion: er war ein Lebensgefühl. Die Fußballer verwandelten mit ihren Siegen das Grau des Alltags in die schillerndsten Farben. Dynamo bestimmte den Rhythmus der Stadt, die sich in jenen Tagen als dreigeteilte Stadt mit sehr schroffen Übergängen darstellte. Hier das rußschwarze Gerippe des Schlosses und die Trümmer der Frauenkirche als Mahnmale, die der Krieg und vor allem die anglo-amerikanischen Bomber zurückgelassen hatten. Dort der Zwinger, die Brühlsche Terrasse, der Stallhof sowie Kreuz- und Hofkirche, die, sorgfältig restauriert, das schöne, das alte Dresden verkörperten. Ausgewählte Architekten ließen freigebombte Flächen mit grauem Beton zugießen, sie mit Stahlträgerwürfeln bestreuen und diese wiederum mit gläsernen Fassaden verspiegeln. Das war das neue, das sozialistische Dresden.“Martin fasziniert von klein auf das Leuchten der Giraffen, ebenso die Tore von Kotte, Häfner, Kirsten und Minge. Traurig stimmt ihn der Verfall des von den Russen genutzten Lahmann-Sanatoriums auf dem Weißen Hirsch, andererseits begeistern ihn die Fahrten im legendären „Gothawagen“ und das leckere Eis am Fuikplatz. Mit seinen Kumpels feiert Martin Partys in Abrißhäusern am Postplatz, vor der Disko im Parkhotel muß er noch schnell seine Lieblingsserie Sergeant Jim Bergerac anschauen. Da er im Sommer 1989 kein Visum nach Athen erhält,flüchtet er über die SSR nach Ungarn, kehrt aber derLiebe wegen aus dem Lager Zugliget in seine Heimat-stadt zurück und sinniert am 9. November überdas Ende aller Träume.