Parlament kommt ja ursprünglich vom lateinischen Wort „parlare“, was auf Deutsch „reden“ bedeutet. Dies verweist auf eine Tradition, die bis zur Ekklesia der attischen Demokratie zurückreicht, zur Volksversammlung des griechischen Stadtstaates, wo das gleichberechtigte Rederecht Ausdruck vollkommener bürgerlicher Freiheit war. Da die Redekunst bekanntlich nicht jedermanns Sache ist, lief die Volksversammlung seit jeher Gefahr, zur Bühne oder zum Spielball begnadeter Rhetoriker bzw. berüchtigter Demagogen zu verkommen. Da ist der Deutsche Bundestag offenbar keine Ausnahme, wie das Parlamentarische Schimpfbuch belegt, das anlässlich des 60. Jahrestages der Republikgründung als Jubiläumsausgabe erschienen ist. Seit fast drei Jahrzehnten durchforstet Günter Pursch nun schon die inzwischen auf stattliche 240.000 Seiten angewachsenen stenografischen Wortprotokolle der Plenarsitzungen immer auf der Suche nach den neuesten verbalen Entgleisungen unserer Volksvertreter, um sie in regelmäßigen Abständen mit leicht modifiziertem Titel der Öffentlichkeit zu präsentieren. Gut 300 Seiten füllen inzwischen die Polemiken, Stilblüten und Geistesblitze, die der Redakteur der Wochenzeitschrift Das Parlament zusammengetragen hat. Abgesehen von der undurchsichtigen Gliederung und einer einigermaßen willkürlichen Indexierung krankt dieses durchaus vergnügliche Werk allzu oft an Zusammenhanglosigkeit. Sie macht leider manche Pointe zum Rohrkrepierer. Weniger wäre vielleicht mehr gewesen. Dennoch ein wertvolles Stück Zeitgeschichte – aber auch die Dokumentation eines schleichenden Sittenverfalls. Kaum erklärlich sonst, warum ein Herbert Wehner oder Ottmar „Schreier“ Schreiner mit 58 bzw. 40 Ordnungsrufen zu Oberpöblern avancieren konnten, während das Großmaul Joschka Fischer („Mit Verlaub Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“) mit lediglich 12 Rügen davonkam, ganz zu schweigen von dem berüchtigten Polterer Franz Josef Strauß, der – kaum zu glauben – nur ein einziges Mal zur Ordnung gerufen wurde. – Franz Klotz