Deutschland am Abgrund. Ulrich Pfeiffer analysiert schonungslos die zentralen Probleme des Landes. Deutschland, das Land des Wirtschaftswunders, ist zum „Stillstand- ort“ verkommen. Stagnation, Trägheit, Reformunwilligkeit kennzeichnen die Republik. Ulrich Pfeiffer, ehemaliger Ministerialbeamter der sozialliberalen Koalition, fordert in seinem Buch eine radikale Entwicklungspolitik. Sonst, so seine eindringliche Warnung, bleibt Deutschland ein Land ohne Zukunft. In einer schonungslosen Analyse zeigt Pfeiffer die zentralen Probleme auf: die allgegenwärtige Korruption, den sinkenden Wohlstand breiter Bevölkerungskreise bei wachsender Abgabenlast, die Arbeitslosigkeit und die Staatsverschuldung. Vor allen Dingen beunruhigen den Politikberater und Sozialforscher Pfeiffer die vielen Realitätsverweigerer. Diejenigen, die vorbeischauen an der Rentenkrise, an dem Verkehrsdesaster, an der Umweltkatastrophe, an der Kinder- und Altersarmut, an dem international wenig attraktiven Bildungs- und Qualifikationsstandort. Sie klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, sprechen vom Weltmeister Deutschland. Weltmeister im Schönreden. Die bescheidene Steigerung des privaten Wohlstands der vergangenen Jahre haben sich die Deutschen mit einer sinkenden Geburtenrate quasi erkauft. Weil die Familien weniger Kinder bekamen, gingen die Investitionen in Ausbildung, in Arbeitsplätze und in Lebenshaltung zurück: eine Ersparnis von etwa drei Billionen Mark ­ das Bruttoinlandsprodukt eines ganzen Jahres. Die drohende Rentenkrise ist so gesehen vor allem eine Krise der Reinvestition in den Wirtschaftsstandort Deutschland. Sind wir noch zu retten? Ja, meint Pfeiffer, wenn wir dreierlei tun: Wir müssen die Warnsignale zur Kenntnis nehmen, die Basis korrekten wirtschaftlichen Handelns wiederherstellen und vor allem langfristig denken. Zur Konfrontation mit der Wirklichkeit reicht die Lektüre des Buchs. Zur Wiederherstellung der Geschäftsfähigkeit Deutschlands gehört mehr: Abspecken des Staats, Steuerreform, Arbeitsmarktreform, Bildungsreform, Politikreform. Pfeiffer: „Vom kollektiven Zentralismus und Institutionenfilz zum selbst verantworteten Föderalismus.“ Das System Kohl ­ leben von der Substanz und von künftigen Generationen ­ muss viel radikaler demontiert werden, als es die SPD bislang angeht. Die geplante Neuverschuldung in Höhe von 300 Milliarden Mark bis 2005 ist kein Sparen und erst recht kein Kurswechsel Richtung Zukunft. Unser zentrales Problem ist die fehlende Bereitschaft zur Wiedergewinnung der Zukunftsfähigkeit, zur Rückgewinnung von Innovationsenergie und zur Mobilisierung aller verfügbaren Talente und Ressourcen für hoch gesteckte Ziele. Pfeiffer: „Die kollektive Lernfähigkeit hat abgenommen. Die elitäre Arroganz wird immer schädlicher.“ Wie kommt das Land aus dem Dilemma? Der Autor hofft auf einen beherzten Aufbruch der wachen Wähler, der weitsichtigen Unternehmer und der mutigen Politiker. „Entwicklungspolitik für ein entwickeltes Land“ ist eine Streitschrift gegen die Lähmung in der Politik und für mehr Radikalität. Es ist eine Aufforderung, sich mit der Realität auseinander zu setzen. Pfeiffer hat den Anfang gemacht. © manager magazin (01/00) – Vervielfältung nur mit Genehmigung