Im Gegensatz zu vielen anderen Sklavinnen in der Karibik hat Zarité Sedella am Ende doch noch viel Glück gehabt. 40 Jahre ist die Mulattin zum Ende des 18. Jahrhunderts alt, und sie hat einen Mann, der sie liebt, vier Kinder sowie ein Enkelkind: eine Familie, deren Mitglieder in Freiheit leben. Dabei hatte alles zunächst nicht gut für sie ausgesehen: Mit neun Jahren wird Zarité an den frustrierten weißen Plantagenbesitzer Toulouse Valmorain verkauft, der sie vergewaltigt. Viele Misshandlungen an Körper und Seele muss sie hinnehmen – Misshandlungen, vor denen andere längst ins legendäre Paradies der Sklaven, dem Totenreich, der „Insel unter dem Meer“ geflohen wären. Aber Zarité vertraut den guten Geistern ihrer Heimat; sie hat die Leidenschaft des Tanzes – und einen unbändigen Freiheitswillen, der sie beschützt… Seit ihrem Welterfolg Das Geisterhaus hat die 68-jährige chilenische Schriftstellerin Isabel Allende immer wieder Bücher vorgelegt, die zwischen (Familien-)Geschichte und magischem Realismus hin- und herpendeln Zumeist standen dabei selbstbewusste Frauenfiguren im Zentrum, die mit unbändiger Energie für ihre Rechte – und die ihrer Kinder – kämpften. So ist es auch bei Die Insel unter dem Meer – einem Roman, der mit seinen Vorgängern noch andere (zumeist positive) Eigenschaften teilt. Dazu gehört eine faszinierende, farbige Sprache, eine mit viel Lokalkolorit durchsetzte Geschichte, die ständig raffiniert die Perspektive wechselt, sowie ein Plot, der beizeiten ein wenig das Kitschige streift. Dass Allende dabei immer wieder Wendungen findet, die das Klischeehafte relativieren, dass sie den Helden Figuren entgegenstellt, die auch das Schwarz-Weiß-Schema von Gut und Böse immer wieder durchbrechen, verwandelt Die Insel unter dem Meer in ein kleines Meisterwerk – ein Meisterwerk zudem, das sich sehr gut lesen lässt. — Stefan Kellerer