Die Reiseschriftstellerin Kate Cold ist ein wahrer Drachen, ihre rabiaten Erziehungsmethoden bei ihrem Enkel Alex berühmt-berüchtigt. Deshalb ist der kalifornische Junge auch wenig erfreut, als ihn der Vater nach der Krebserkrankung seiner Mutter in die „Obhut“ der resoluten Frau nach New York schickt. Als Kate im eröffnet, dass sie eine Reportage über einen Urwald-Yeti zu schreiben habe und gedenke, ihn zur Recherche mit zum Amazonas zu nehmen, beginnt für Alex ein neues Leben. Auf seiner gefährlichen Reise besucht Alex nicht nur das sagenumwobene El Dorado (dessen vermeintlich reicher Schmuck sich ironischerweise als Katzengold entpuppt) und lernt eine neue, riesenhafte Spezies von faultierartigen Wesen kennen, die aufgrund ihrer langen Lebensdauer als Gedächtnis der schriftlosen Indios fungieren: Er entlarvt auch eine Verschwörung, entdeckt die eigene Sexualität, bändigt mit seiner Flöte die Natur, rettet den Indianerstamm der Nebelmenschen vor dem Untergang — und wird so Teil einer exotisch-verlockenden, fremden Welt, die als (etwas überzeichnetes) Gegenbild des kalten, gefühlsleeren New York firmiert. Am Ende schaut Alex alias „Jaguar“ nicht nur auf ein unglaubliches Abenteuer, sondern nach seiner Initiation mit allerlei bewusstseinserweiternden Drogen (deren Schilderung zu den sprachlich gelungensten Passagen des Romans gehört) auch auf seine beendete Kindheit zurück. Mit dem „Wasser des Lebens“ kann Alex vielleicht sogar seine Mutter heilen. Und seine inzwischen überaus liebenswerte Großmutter ist zudem eine gute Freundin geworden. Auch verlagsgeschichtlich ist der Stadt der wilden Götter etwas Mysteriöses widerfahren. Zeitgleich nämlich kam das Buch in der (im Übrigen sehr flüssigen) Übersetzung von Svenja Becker bei Suhrkamp und im Hanser Verlag heraus. Bei Letzterem fiel es ins Jugendbuch-Segment, und dort ist Die Stadt der wilden Götter auch sehr gut aufgehoben: als Abenteuerroman über das Entdecken einer rätselhaften Welt — auch die des eigenen, pubertierenden Ichs –, mit allen altbekannten Elementen (falsche Verdächtigungen, überraschende Enthüllungen, gute Indianer und „wilde“ Zivilisierte, tumbe Wissenschaftler etc.), die man von einem solchen Plot nicht erst seit Karl May erwarten kann. Auch einige schwer erträgliche, fremden Klassikern entlehnte Klischees („Man sieht nur mit dem Herzen gut“) bekommen von daher einige Berechtigung. „Ich habe schon Abenteuergeschichten geschrieben, als meine Kinder noch klein waren“, hat Allende bemerkt, „und habe sie ihnen dann erzählt. So blieb ich wunderbar in Übung — bis heute“. Dem kann man unumwunden zustimmen: Denn spannend erzählt ist Die Stadt der wilden Götter allemal. Hier hat Allende einmal mehr gezeigt, dass sie zu den besten Unterhaltungsschriftstellerinnen Südamerikas zu zählen ist, und das ist keineswegs negativ gemeint. So wird wohl auch die Suhrkamp-Ausgabe beim erwachsenen Publikum viele begeisterte Leser finden. –Thomas Köster
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