Warum ein renommierter Schriftsteller wie Hans Magnus Enzensberger überhaupt ein Pseudonym braucht, wäre eine andere Frage. Jedenfalls hat er als Andreas Thalmayr schon vor Jahren Das Wasserzeichen der Poesie veröffentlicht, das sich zum Kultbuch für Lyrikbegeisterte entwickelte. Mit der Liebe zu den Wörtern beschäftigt sich auch sein neuestes Werk. In insgesamt sieben Runden nähert er sich dem schwer greifbaren Faszinosum der deutschen Sprache. Obwohl es sich bei diesen Runden nicht um Boxrunden handelt, sondern ausdrücklich um Spaziergänge durch die vielgestaltige Sprachlandschaft, teilt er dabei so machen Hieb aus, etwa gegen die „Plattwalzer“ des Duden oder die Rechtschreibreform und den für diesen Unsinn verantwortlichen „Kreis von Legasthenikern, der es zu Ministerämtern gebracht hat“. Im Chaos einen Reichtum zu sehen — das ist eine der Botschaften dieser kurzweiligen Streifzüge des Sprachliebhabers aus Kaufbeuren. Hat denn das Aussprachewirrwarr des Englischen — der Laut u etwa kann durch siebzehn verschiedene Schreibweisen wiedergegeben werden — verhindert, dass es zur Weltsprache aufstieg? Und auch die amüsanten, interessanten oder merkwürdigen Aspekte des Deutschen haben nach Meinung des Autors oft mit dessen Komplexität zu tun. Da wären zum Beispiel die Partikel, die „im Deutschen ein fantastisches, koboldartiges Eigenleben führen“. Und auch die große Freiheit in der Wortstellung hat das Deutsche den meisten anderen Sprachen voraus. So macht sich Enzensberger den Spaß, den Satz „Ich weiß auch, dass ich nichts weiß.“ in mehr als einem Dutzend Variationen zu präsentieren. Überhaupt sind es die vielen Beispiele, die Heraus mit der Sprache den besonderen Charme verleihen. Denn da legt der Dichter meist selbst Hand an, schreibt etwa ein Liebesgedicht in „Türksprech“ oder eine Geschichte, die ausschließlich aus Redewendungen besteht. Schade ist nur, dass in vielen Abschnitten die Aspekte der Sprache nur flüchtig behandelt werden können. Aber im Anhang gibt es Hinweise zu weiterführender Literatur. Und für alle Sprachinteressierten ist das in jedem Fall ein prall gefülltes Schatzkästchen, das Hans Magnus Enzensberger hier geöffnet hat. –Christian Stahl