WIESBADENER KURIER Wiesbadener Kurier, 26.10.2009 DAS POLITISCHE BUCH Raffgier, Kredit als Droge und machtlose Aufsicht Börsenexperte Michael Best will den Kapitalismus neu justieren / Ohne einen machtvollen Staat i s t eine Lösung nicht möglich Von Karl Schlieker WIESBADEN. Der Kapitalismus als Wirtschaftssystem hat sich bis auf die Knochen blamiert. Finanzexperte Michael Best streut Salz in offene Wunden. Der Leiter des ARDBörsenstudios in Frankfurt beschreibt in seinem Buch „Kapitalismus reloaded“ anschaulich und vor allem verständlich die Krisenursachen. Ein extrem hohes Kreditvolumen, niedrige Zinsen, falsche Bepreisung von Risiken, fehlende Risikokontrolle, ein Schattenbankensystem mit undurchsichtigen Finanzinstrumenten sowie globale Ungleichgewichte in Kombination mit überforderten und machtlosen Aufsichts- und Regulierungsgremien haben die Weltwirtschaft an den Abgrund geführt. Dass das Buch an einigen Stellen nicht mehr ganz aktuell ist -beispielsweise wenn es um staatliche Gegenmaßnahmen und internationale Strategien geht – ist in einer Zeit des Umbruchs nicht zu vermeiden. Best geht es dem Buchtitel „Kapitalismus reloaded“ entsprechend um eine systemimmanente Lösung. Der Börsenexperte versucht mit dem „kategorischen Imperativ“ des deutschen Philosophen Immanuel Kant im Rücken eine Grenze zu ziehen: „Erst wenn sich Gewinnstreben in Gewinnsucht verwandelt, die sich in Habgier, Raffgier und Skrupellosigkeit äußert und gegen die Gemeinschaft wendet, greift moralische Kritik.“ Dass dabei der Teufel im Detail steckt und Lösungen immer umstritten bleiben werden, ist für Best ebenso klar wie die Feststellung, dass der Staat eingreifen muss. Drei Hauptpunkte einer Lösung stellt er heraus: Staatliche Regulierung: Der Staat muss den Handel mit Finanzprodukten ans Licht der Öffentlichkeit holen (also an öffentliche Börsen verlagern) und einschreiten, wenn Geschäftsmodelle sich gegen die Gemeinschaft wenden. Dafür muss ein Frühwarnsystem geschaffen werden. Neue Ethik: Notwendig ist eine neue Grundhaltung. Im Zentrum der Wirtschaft muss die Investition stehen nicht die Spekulation. Dafür müssen die Anreizsysteme in den Unternehmen geändert werden. Auch Sparer und Anleger müssen umdenken. Verschuldung abbauen: Kredit ist eine Droge, in Maßen eingesetzt wirkt sie belebend, eine zu hohe Dosierung kann tödlich sein. Eine Krise, die durch waghalsige Verschuldung bei Privathaushalten und Banken ausgelöst wurde, wird durch waghalsige Verschuldung öffentlicher Haushalte bekämpft. Ein Rettungsversuch mit immensen Risiken, der allerdings wie die Weltwirtschaftskrise 1929 zeigt ohne Alternative ist. „Kapitalismus reloaded“ ist eine Art Zwischenbilanz, die viel Stoff für weitere Debatten liefert. Best bleibt Realist, wenn er schreibt, dass es beispielsweise nicht nur in den USA an politischem Mut fehlt, Warenterminmärkte wieder auf ihre ursprüngliche Funktion zu reduzieren. „Dabei sind Wetten auf die Preise von Agrarrohstoffen so ziemlich die unappetitlichste Erfindung menschlicher Geldgier.“ Der Streit um den richtigen Weg aus der Krise geht weiter. (Wiesbadener Kurier, 26.10.2009)Angenehm und dem Thema angemessen findet Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, dass der Autor die Emotionalität der Debatte über Kapitalismus, die zum Veriss des Kapitalismus führt, nicht nachmacht, […] sondern mit ruhigem und sachlichem Verstand die Debatte weiterführt. Sehr, sehr hilfreich ist auch Bests Schlussfolgerung, die der Anleger […] aus den vergangenen ein, zwei Jahren ziehen sollte. (Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, im Interview mit dem HR)