E r redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen«, doch zugehört haben ihm vor allem die Menschen. Und das machte Konrad Lorenz (1903–1989) sowohl für Wissenschaftler als auch für Laien zur Symbolgestalt einer neuen wissenschaftlichen Disziplin: der vergleichenden Verhaltensforschung. Der geniale Beobachter und Vermittler war unter den Begründern der Ethologie die treibende Kraft. Seine charismatische Ausstrahlung und sein rigoroser Anspruch – von der »Gans aufs Ganze« und somit auch auf den Menschen zu schließen – führten zu begeisterter Gefolgschaft, provozierten aber auch heftigen Widerspruch. Die Chance, sein eigenes Denken und Handeln im Kontext der leidvollen historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts zu verarbeiten, ergriff Lorenz leider erst sehr spät und zudem nur halbherzig. Er hinterließ keine Autobiografie, die sich als Mittel der Selbstprüfung und Bilanz oder gar der Rechtfertigung verstehen ließe, sondern nur ein anekdotisches Fragment. Diese Lücke kann auch die fesselnde Biografie der Wiener Wissenschaftsjournalisten Klaus Taschwer und Benedikt Föger nicht restlos füllen. Nach deren Meinung muss Lorenz als »Verkörperung seiner eigenen Lehre« begriffen werden. Leben und Werk gingen in seiner Person eine untrennbare – mitunter sogar unheilvolle – Verbindung ein. Der »Vater der Graugänse« war Parteigänger der braunen Diktatur. Und dies hat nicht nur dem Seelenfrieden des Nestors der Verhaltensforschung, sondern auch der Reputation des ganzen Fachgebiets nachhaltig geschadet. Gestützt auf ein profundes zeitgeschichtliches und ethologisches Wissen, versuchen die Biografen vor allem jenen Widerspruch aufzulösen, der Bewunderer wie Kritiker nach wie vor beschäftigt: Wie konnte sich dieser wahrhaft seherische Verfechter des Wahren, Guten und Schönen auch nur ansatzweise mit der brutalen Gegenwelt der Nazis gemein machen? In seinem Partei-Aufnahmegesuch vom 28. Juni 1938 betonte Lorenz, dass seine »ganze wissenschaftliche Lebens-arbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste nationalsozialistischen Denkens steht«. Formulierte hier jemand allein aus naivem Enthusiasmus oder karrierestrategischem Opportunismus? War Lorenz nur ein vergleichsweise harmloser Mitläufer, an dem sich die Tragik des unpolitischen genialen Wissenschaftlers studieren lässt? Jene nicht nur auf dem politischen Feld immer wieder auffällig gewordene Naivität des »guten Menschen von Altenberg« ist für Taschwer und Föger vor allem das Ergebnis der überlangen Sozialisation in jener märchenhaften elterlichen Villa an der Donau bei Wien. Nur ein solches Milieu konnte einen derart sensiblen, hochbegabten und zugleich auch weltfremden Zögling hervorbringen. Eugenisches Gedankengut war in jener Zeit international weit verbreitet, konnte von den Nazis leicht vereinnahmt und zum zentralen Anliegen erhoben werden. Insofern überrascht es nicht, dass Lorenz als glühender Anhänger Darwins und bekennender Eugeniker geradewegs in den Dunstkreis der nationalsozialistischen Rassentheorie hineinschlitterte. Immerhin, die grauenhafte Praxis des Rassenwahns überstieg selbst das Vorstellungsvermögen erklärter Regimegegner. Insofern erscheint Lorenz’ spätere Versicherung, er habe die ungeheuren Verbrechen lange Zeit nicht wahrhaben wollen, durchaus glaubhaft. In seinen »Memorrhoiden«, wie Lorenz seine autobiografischen Aufzeichnungen selbstironisch bezeichnete, heißt es: »Der Vorgang, den Sigmund Freud ›Verdrängung‹ nannte, hat eine dämonische Macht über den Menschen, von der man sich keine Vorstellung macht.« Möglicherweise hat Lorenz unter seinen ideologischen Verirrungen mehr gelitten, als es selbst seine nächsten Angehörigen und Freunde wahrgenommen haben. Der greise Nobelpreisträger war sich jedenfalls der blinden Flecken seiner Erinnerung bewusst. Die Biografen sind fair. Sie messen Lorenz nicht mit den Maßstäben der political correctness unserer Tage. Dennoch gleicht ihr Buch streckenweise dem Protokoll eines Untersuchungsausschusses, wobei die Gewichtung des teils belastenden, teils entlastenden Materials zumeist dem Leser überlassen bleibt. Die wissenschaftliche Leistung des Forschers gerät dabei allerdings in den Hintergrund. Taschwer und Föger sind vor allem an der moralischen Qualität dieses Forscherlebens interessiert. Das schlägt sich auch im Anhang nieder, der neben vielen Anmerkungen und Quellenhinweisen zwar ein Literatur- und Personenregister, doch kein Sachregister aufweist. Einzelheiten etwa zur spannenden Entwicklungsgeschichte der ethologischen Begrifflichkeit findet nur wieder, wer auch weiß, dass man zur »Prägung« unter »Heinroth«, zum »Instinktbegriff« unter »Tinbergen« und zur »Kettenreflextheorie« unter »von Holst« suchen muss. Lorenz’ begeisternde Naturschilderun-gen, die seine weltweite Popularität begründeten, spielen in diesem Buch kaum eine Rolle. Die Biografen spekulieren – nicht ganz zu Unrecht – auf eine vor-gebildete Leserschaft, für welche die schlichte Erwähnung des »Gänsekinds Martina« oder der »Dohle Tschok« augenblicklich eine schönere Welt anklingen lässt. Eine Welt, die uns Lorenz immer noch als den Inbegriff des glücklichen Naturforschers erscheinen lässt. »Ich behaupte in aller Unbescheidenheit, dass ich mehr über Tiere weiß, sie tiefer verstehe als irgend ein anderer Mensch, den ich kenne.« So lautet die Selbsteinschätzung jenes »König Salomon in Lederhosen«, die von seinen kritischen Biografen uneingeschränkt geteilt wird. Denn für jeden, der Tieren wirklich nahe kommen will, bleibt Lorenz ein unverzichtbarer Lehrer. Taschwer und Föger ist der Nachweis gelungen, dass dem Andenken einer so vielschichtigen und widersprüchlichen Persönlichkeit wie Konrad Lorenz nicht durch Vertuschung unbequemer Tatsachen gedient ist, sondern allein durch sorgfältige Wahrheitssuche. — Reinhard Lassek
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.