Die Frage nach dem Umfang sozialer Ungleichheit im Deutschen Kaiserreich gilt in der historischen Forschung als zentral für das Verständnis des 19. Jahrhunderts und für die Folgewirkungen im 20. Jahrhundert. Die Studie des Historikers und Volkswirts Hendrik K. Fischer über das Konsumverhalten privater Haushalte zwischen 1871 und 1914 findet höchst innovative Antworten auf diese Frage und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur neueren historischen Sozialstruktur- und Konsumforschung. Die Grundlage der Studie bilden knapp 4.000 Haushaltsrechnungen aus dem Untersuchungszeitraum, die nahezu das gesamte gesellschaftliche Spektrum abdecken: eine in dieser Breite noch nie erschlossene und genutzte Datenquelle. Aus den heterogenen Quellen gewinnt Fischer einen Datensatz, der das Konsumhandeln repräsentativ abzubilden vermag. Dieser „Kölner Datensatz“ stellt der empirisch-historischen Konsumforschung eine neuartige und wichtige Basis zur Verfügung, für die es etwas Vergleichbares zurzeit nicht gibt und deren Analysepotenzial noch lange nicht ausgeschöpft sein dürfte. Die statistische Auswertung des Datensatzes ist methodisch ebenso innovativ: Mit Hilfe einer Clusteranalyse werden verschiedene repräsentative Konsummuster für die Zeit des Deutschen Kaiserreichs identifiziert, die wesentlich neue Aussagen über das Konsumhandeln und damit über sozial differenzierte Formen der Lebensführung in dieser Periode erlauben. Fischers Untersuchung liefert Ergebnisse, die vermeintlich sichere Kenntnisse über die sozialen Verhältnisse im Deutschen Kaiserreich infrage stellen.