Trauma als Deutungsmuster? Zwei neue Publikationen Eine grosse Verantwortung nimmt auf sich, wer den Anspruch erhebt, das Trauma als ein «kulturelles Deutungsmuster» zu diskutieren. Der von Elisabeth Bronfen, Birgit Erdle und Sigrid Weigel herausgegebene Band will, Klappentext und Einleitung gemäss, dem erkannt Problematischen dieser Ausweitung des originär psychopathologischen Begriffs durch «Differenzierung» begegnen. Hinsichtlich der behandelten Gegenstände wird dies sicher eingelöst: der Holocaust und die Stätten des Gedenkens; Kriegstraumata und Literatur; Trauma im Film, in der Musik und in der Philosophie. Stellenweise dringt auch durch, dass der Traumabegriff selbst da, wo er besonders massiv seine Relevanz zu beschwören scheint, an der Verschüttung und Isolierung dessen, worum es in ihm geht, mitarbeitet. In dem, was Daniel Libeskind und Birgit R. Erdle über das Jüdische Museum in Berlin oder über eine geplante «Urbanisierung» ehemaliger Wohnstätten für SS-Leute nahe dem KZ Sachsenhausen schreiben, oder in Dan Bar-Ons Bericht über den Umgang mit Kriegstraumatisierten in der israelischen Armee wird spürbar Reales umkreist. Wenn indes Manfred Weinberg die Platonische Lehre von göttlicher Idee und menschlich partialer Wiedererinnerung als eine Art Urtrauma der Philosophie beschreibt, ist die Frage nach dem Erkenntnisgewinn einer solchen Reformulierung (die vielleicht nur eine Selbstanwendung des Platonismus ist) unabweisbar. Der Vielfalt der Gegenstände entspricht nicht die begriffliche Differenzierung. Hier lässt der Band viele Fragen offen, ja stellt sie erst gar nicht. Wenn Alexander García Düttmann auf Levinas eingeht, dann hätte man sich ein klares Wort dazu gewünscht, was das Verständnis von Trauma bei diesem jüdischen Denker von anderen «Diskursivierungen» des Begriffs unterscheidet. Schliesslich skizziert Levinas eine allgemeine Theorie eines immer schon traumatisierten Subjekts: Anders als dadurch, dass der Andere in mich eindringt, dass ich von ihm besessen bin und verfolgt werde, kann ich als ethisches Subjekt gar nicht sein. Im Unterschied zur Psychopathologie behandelt Levinas das Trauma nicht als spezifisches Ereignis, das dem einen widerfährt, dem anderen nicht, sondern als Strukturmoment ethischer Subjektivität. Doch diese Höhe des Problems wird im vorliegenden Band nicht erreicht. Ganz abgesehen davon wäre es den meisten Autoren des Sammelbandes anzuraten, sich in psychoanalytischer, aber auch in medizinischer und psychiatrischer Theorie auf den angemessenen Stand zu bringen. Das «Lehrbuch der Psychotraumatologie» von Gottfried Fischer und Peter Riedesser lässt in dieser Hinsicht keine Wünsche offen. Trotz einer dominanten Verankerung in der Freudschen und nachfreudianischen Psychoanalyse (Bowlby, Winnicott, Horowitz) werden auch behavioristische und lerntheoretische Theorien und Therapieansätze (z. B. Piaget) berücksichtigt. Die Autoren vertreten das Modell einer «Systemhierarchie» der Wirkungsfelder des Traumas, das dieses bis hin zu somatischen oder neurophysiologischen Symptomen zu verfolgen erlaubt und Reduktionen berücksichtigt, ohne selbst reduktionistisch zu verfahren. Hans-Dieter Gondek