Wer derzeit auf die Rendite seiner im vergangenen Jahr erworbenen Aktien blickt oder seinen Kinderwunsch verwirklichen will, merkt schnell, dass er nicht kann, was und wie er will. Diese Erfahrung, dass wir als Einzelne in einer Gesellschaft leben, die unsere individuellen Träume, Wünsche und Ziele immer schon zugleich befördert und beschränkt, ist Ausgangspunkt für die Wissenschaft der Soziologie. Die Soziologie geht davon aus, dass wir unsere eigenen Handlungen und Erfahrungen nur aus ihrem sozialen Kontext heraus verstehen können. Blicken wir aufmerksam auf die Ereignisse in unserer sozialen Umwelt, können wir strukturelle Zusammenhänge und Muster wahrnehmen, die sich unserer individuellen Erfahrung allein niemals erschließen. Der amerikanische Soziologe C. Wright Mills nannte diese Fähigkeit Soziologische Fantasie. Mit dem von ihm herausgegebenen Lehrbuch der Soziologie möchte der Berliner Soziologe Hans Joas nun dazu beitragen, diese „Soziologische Fantasie“ wieder zu beflügeln. Das Lehrbuch ist übersichtlich und eingängig anhand von fünf soziologischen Grundbegriffen strukturiert: Sozialstruktur, soziales Handeln, Kultur, Macht und funktionale Integration. Die Tatsache, dass Joas für sein Projekt einige der profiliertesten Vertreter des Fachs in Deutschland gewinnen konnte, trägt dazu bei, dass dem Leser ein Buch präsentiert wird, welches auf seriöse und übersichtliche Weise in den neuesten Wissenstand der Disziplin einführt. So konnte für das Kapitel „Kultur“ Karl-Siegbert Rehberg, einer der führenden deutschen Kultursoziologen, als Autor gewonnen werden. Das Kapitel über „soziale Bewegungen und kollektive Aktionen“ stammt aus der Feder von Dieter Rucht und Friedhelm Neidhardt, die beide verdienstvolle Arbeiten über die Genese sozialer Bewegungen aufzuweisen haben. Für den Studienanfänger besonders hilfreich ist der Überblick des amerikanischen Soziologen Craig Calhoun über „Methoden der Sozialforschung“. Calhoun verdeutlicht, dass sich die Soziologie, will sie ihre Seriosität bewahren, nicht auf feuilletonistische Zeitdiagnosen verlassen darf, sondern ihre Ergebnisse stets im Rückgriff auf eine wissenschaftliche Methode und empirisch zuverlässige Daten begründen muss. –Volker Pehnt
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.