Auf Seite 328 findet sich eine Passage, die einiges Licht auf das Schaffen und die Zweifel Volker Schlöndorffs wirft. Nachdem seine Proust-Verfilmung „Eine Liebe von Swann“ in Frankreich durchgefallen war, befiel den Regisseur angesichts seiner nächsten literarischen Großbaustelle, dem „Tod eines Handlungsreisenden“, eine lähmende Befürchtung. Womöglich glich er als Filmemacher eben jenem glücklosen Vertreter Willy Loman, der „durch die Welt reist, selten etwas verkauft, sich aber große Illusionen macht?“ – Womöglich steckt darin ein Fünkchen Wahrheit. Während sich seine deutschen Kollegen Petersen und Emmerich als Blockbuster-Garanten auf der Sonnenseite Hollywoods etablierten, blieb Schlöndorff bei seinen ambitionierten Literaturverfilmungen. Und scheiterte nicht selten auf höchstem Niveau. Darüber nun aus seinem Munde zu hören, gleicht einer Lehrstunde deutschen Kinoschaffens! Ein Leben, das mit einem fürchterlichen Paukenschlag eröffnet. Volker und sein kleiner Bruder müssen 1944 miterleben, wie die Mutter einen gräßlichen Flammentod erleidet. Lebenslanges Trauma, Jahrzehnte später noch eingegossen in die Bilder des kleinwüchsigen Oskar Matzerath, der verzweifelt an die Tür der sterbenden Mutter hämmert. Wir begleiten den Austauschschüler ins Jesuiten-Internat und das anschließende zehnjährige Exil in Frankreich. Allein die Lehrjahre bei den Regiegottheiten Melville, Resnais, Tavernier und Louis Malle, wären ein eigenes Buch wert. Zurück in der Heimat wartete der junge deutsche Film auf einen wie Schlöndorff. Frankreich hatte ihn bereits zum „Jungen Törleß“ inspiriert. Nun war „Michael Kohlhaas“ Programm. Die 68er brauchten ihre Dokumentaristen. Und die große Margarethe von Trotta trat in sein Leben. Gesucht – und gefunden. Gänzlich unaffektiert und bescheiden geleitet uns Schlöndorff, der sich nach eigenem Bekunden „nicht für einen der Großen“ hält, durch ein Leben, das von seinen Filmen förmlich biografisch flankiert wurde. „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Deutschland im Herbst“, bleischwere Jahre, düstere Filme. Schließlich der Wurf, der bis heute den innersten Kern in Schlöndorffs künstlerischem Dasein definiert: „Die Blechtrommel“. Das natürliche Herzstück des Buches, festgehalten in faszinierenden Tagebucheinträgen. Die Dankesrede des Preisträgers, ein Fiasko deutscher Belehrungswut, das in Hollywood auf Befremden stieß. Große Namen geben im Buch einander die Klinke in die Hand. Grass als Nervensäge am Set. Später dann sein amerikanisches Gegenstück Arthur Miller, der seinen „Handlungsreisenden“ nicht aus den Klauen lassen wollte. Hier, der weise Max Frisch als „Homo Faber-Ratgeber. Drüben, ein ungewohnt nickeliger Dustin Hoffman. Böll, der Große. Und ein ganz kleiner Alain Delon, der sich als Rache (Jeremy Irons hatte die Hauptrolle in „Swann“ bekommen), bitter unprofessionell verhielt, was selbst den notorisch konzilianten Dauerlächler Schlöndorff auf die Barrikaden trieb. Filmgeschichte(n) – und kein Ende. Man hört, dieses wunderbare Buchprojekt wäre nur zustande gekommen, weil Eichinger Schlöndorff die Regie zu „Die Päpstin“, einem langjährigen Lieblingsprojekt, entzogen hatte. Plötzlich war Zeit da. Er hat sie genutzt. Was wir vor uns liegen haben, ist um Klassen besser als es „Die Päpstin“ vermutlich je werden wird. Behaupten wir mal frech.–Ravi Unger