Einen Ghostwriter wie in dem gleichnamigen Film von Roman Polanski hat Tony Blair für seine Memoiren nun offenbar doch nicht beschäftigt. Gewaltsam zu Tode gekommen ist bisher auch niemand in den drei Jahren ihrer Entstehung. Und wer sich von der Lektüre der 750 Seiten außergewöhnliche Enthüllungen und Einsichten erwartet, der sieht sich getäuscht. Selbstkritik ist einfach nicht die Sache eines Tony Blair, selbst wenn Demut jemandem wie ihm, der die Religion als eine noch größere Leidenschaft bezeichnet als die Politik, gut zu Gesichte stünde. Und so kommt es, dass Blair, der über ein Jahrzehnt lang als britischer Premierminister nicht nur die Geschicke seines Landes sondern als getreuer Gefolgsmann der USA auch die der ganzen Welt mitbestimmt hat, trotz seines schmachvollen Abgangs erstaunlich selbstgewiss zu Werke geht. Die Darstellung seines kometenhaften Aufstiegs und die Bilanz der Errungenschaften, die er sich persönlich zugutehält, muten über weite Strecken an wie eine Apotheose. Dabei entspricht die Würdigung seiner politischen Weggefährten auf nationaler wie internationaler Ebene nicht immer der sprichwörtlich feinen englischen Art. Exemplarisch deutlich wird dies an der Disqualifikation seines Amtsnachfolgers und innerparteilichen Rivalen Gordon Brown, dem er jegliche emotionale Intelligenz abspricht, bzw. an den Animositäten gegen den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Obwohl er seinem einstigen Bewunderer Respekt für seine Radikalität bei der Umsetzung seiner innenpolitischen Reformpolitik zollt („ein wirklich harter Bursche“) und ihm echte Führungsqualitäten bescheinigt, bringt es Blair nicht fertig einzugestehen, dass der Bruch mit Schröder in allererster Linie außenpolitischen Differenzen geschuldet war. Von seiner Rolle als „Bushs Pudel“ will Blair ohnehin nichts wissen und beharrt stattdessen auf der Notwendigkeit der Beseitigung des Despoten Saddam Hussein. Auf den US-Präsidenten, den er zwar als schlichtes Gemüt darstellt aber als durchaus intelligenten und vor allem verlässlichen Idealisten mit den besten Absichten verteidigt, lässt er bis heute nichts kommen. Sein schlechtes Gewissen lässt lediglich die Absicht erkennen, die Millionenerlöse aus seinen Memoiren einem Kriegsopferfonds zur Verfügung zu stellen. Lohnend ist die Lektüre von Mein Weg allemal. Nicht nur weil sie informativ und streckenweise ausgesprochen unterhaltsam ist, sondern auch weil sie von einem geradezu tragischen Realitätsverlust eines Mannes kündet, der einst so berühmt war für sein Gespür für die öffentliche Meinung. Wer zum Beispiel geglaubt hat, Blair habe ein für allemal der britischen Politik den Rücken gekehrt, irrt sich gewaltig. In seinen Memoiren ist nur von einem Rückzug aus taktischen Gründen die Rede: „vorerst jedenfalls“. – Arnold Abstreiter