Es ist fast schon ein Reflex, wenn man einen neuen Kaminer in die Hand bekommt. Man betrachtet den Titel, liest den Klappentext und kann sich einfach nicht wehren gegen den Gedanken: „Also schon wieder ein Buch mit Kurztexten über Russen in Deutschland. Na ja. Der reitet sein Pferd auch, bis es tot umfällt.“ Und mit einem leisen Seufzen fängt man an zu lesen. Doch dann ist man nach wenigen Zeilen wieder drin in der ganz eigenen Welt und der ganz eigenen Sprachmelodie des Wladimir Kaminer. Und schämt sich sofort seiner ketzerischen Gedanken. Denn es ist nun einmal Kaminers Lebensthema: Russen, die sich in Deutschland zurechtfinden müssen und deren Lebensart oft so gar nicht zu den deutschen Wohn-, Arbeits- und Seins-Gepflogenheiten passt. Woraus Kaminer immer und immer wieder hochkomische Funken zu schlagen und zugleich die Melancholie der fern der Heimat Lebenden durchschimmern zu lassen weiß. Das ist richtig gut, und das ist richtig lustig. Warum also sollte er über etwas anderes schreiben? Ein Abriss des Inhalts ist hier so müßig wie in allen Kaminer-Büchern, daher nur kurz: Roter Faden sind die Erlebnisse des Erzählers mit zwei jungen Russen, die in seinem Haus eine WG aufmachen. Von Trompetenspiel am frühesten Morgen, vom Selbstversuch des Deutschlernens per Hypnose oder von einer im Wodkarausch falsch herum gestochenen Tätowierung ist da die Rede, und von vielem mehr. Wenn man das hier so hinschreibt, klingt es ein wenig lahm, abgedroschen, auf eine Pointe hin konstruiert. Doch wer schon einmal einen Kaminer gelesen hat, der weiß, dass seine Miniaturen genau das nun eben nicht sind. Sie sprühen vor Esprit und Witz, und auch wenn man beim nächsten Buch vielleicht erneut denken wird: „Ach, es geht wieder um Russen in Deutschland…“ – wenn man ehrlich ist, kann man gar nicht genug davon bekommen. — Christoph Nettersheim
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