Nathans Ende? rh. «Nathans Ende?» – Die Titelfrage des Buches von Barbara Fischer zur deutsch-jüdischen Rezeption von G. E. Lessings «Nathan der Weise» unterscheidet sich nur durch das Fragezeichen vom Titel des letzten Kapitels. «Nathans Ende» handelt von der Geschichte einiger «Nathan»-Aufführungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei spannt sich der Bogen von der ersten Nachkriegs- oder besser Nachholocaust-Aufführung am 7. September 1945 im Deutschen Theater in Berlin bis hin zu George Taboris Lessing-Texte-Collage, die 1991 unter dem Titel «Nathans Tod» in München zu sehen war. Spannungsreicher kann ein Bogen gar nicht sein, unterschiedlicher nicht der dramaturgische und inszenatorische Umgang mit einem klassischen literarischen Text. Vermied die Berliner Inszenierung «jeglichen Gegenwarts- bzw. Vergangenheitsbezug» und präsentierte sie den «Nathan» als eher morgenländisch «mildes Märchenspiel», in dem freilich auch die «grimmige Aktualität» zu spüren und die «zornige Mahnung» zu hören war, so konnte Tabori für sein durch und durch grimmig-zorniges «szenisches Pamphlet» offensichtlich nicht genug an Vergangenheits- und Gegenwartsbezügen (auch literatur-, ideen-, religions-, emanzipations-, rezeptions- und aufführungshistorischer Art) mobilisieren. George Taboris vom bösen Blick auf die Menschengeschichte inszenierter Tod Nathans steht am Ende jener «werkhistorischen Zeitschneise», die Barbara Fischer schlagen möchte, «um die (Leidens-)Geschichte von Lessings Idee der Menschenliebe und Toleranz im ‹Nathan› auf ihrem Weg durch mehr als zwei Jahrhunderte zu verfolgen». Gerade mit Blick auf diese ungeheure Geschichte kann man so getrost wie ungetrost, so ruhig wie unruhig sagen, dass «Nathans Tod» nicht Nathans Ende ist. Lessings Dichtung bleibt «Dichtung zur Wahrheit». Und Nathan muss sein Morgenmärchen immer wieder erzählen.