Einleitung: Die Tatsache, daß rechtsextreme Parteien bei manchen Wahlen beängstigende Erfolge erzielen, bei anderen jedoch nicht einmal ein Prozent erreichen, gehört nach wie vor zu den Rätseln, denen die Wahlforschung auf den Grund zu gehen versucht. Erwiesen ist bisher nur folgendes: Damit ein größerer Teil der Bevölkerung rechts wählt, müssen vor allem drei Bedingungen gegeben sein: Eine oder mehrere attraktive rechtsextreme Parteien, ein latent vorhandenes rechtes Einstellungspotential und eine Krisen- bzw. Umbruchsituation. Nachdem das geistige Erbe des Nationalsozialismus nach und nach abgebaut wurde, hat sich das rechtsextreme Einstellungspotential auf einen Wert von 13-15% Prozent eingepegelt. Doch es gab nur drei Phasen in der Geschichte der Bundesrepublik, in denen die Wahlergebnisse von Rechtsaußen-Parteien auch nur annäherungsweise an dieses Potential heranreichten. Die Wahlerfolge der Sozialistischen Reichspartei (SRP) in der Nachkriegszeit können getrost als Nachwehen des Nationalsozialismus angesehen werden. Die Erfolgsphase der NPD in der Sechzigern war gewissermaßen ein Aufbäumen nationalkonservativer Wähler gegen die APO, den beginnenden Wertewandel und die Große Koalition, aber auch ein Ausdruck das Schocks über das abrupte Ende des Wirtschaftswunders und die Rezession, die den neu gewonnenen Glauben daran, daß „Demokratie funktioniert“, recht heftig erschütterte. Die „Dritte Welle“ wird mit dem Einzug der Republikaner ins Berliner Abgeordnetenhaus 1989 angesetzt. Die Republikaner bildeten sich als Gegenpol zu den Grünen, als Opposition gegen den fortschreitenden Wertewandel und die von den Linken propagierte „multikulturelle Gesellschaft“. Sie gingen vornehmlich mit dem Thema „Ausländer und Asyl“ hausieren und gewannen somit die Stimmen der „Modernisierungsverlierer“. Doch die „Dritte Welle des Rechtsextremismus“ scheint kein Ende zu nehmen. Nachdem die Republikaner kurz nach der Wiedervereinigung eine Wahlniederlage nach der anderen einstecken mußten, erlebten sie bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg ein überraschendes „Comeback“. Noch häufiger als den Republikanern gelang es in den Neunziger Jahren der Deutschen Volksunion (DVU), die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Nun stellt sich die Frage, ob die Gesetzmäßigkeit vom Wellencharakter rechtsextremer Wahlerfolge für die neunziger Jahre überhaupt noch zutrifft. Zum ersten existieren anstelle einer einzigen erfolgreichen rechtsextremen Partei nun zwei: Die Republikaner und die DVU. Zum zweiten scheinen sich die beiden Parteien nicht nur auf unterschiedliche regionale Schwerpunkte, sondern auch auf unterschiedliche soziale Gruppen zu konzentrieren. Zum Dritten schwanken die Ergebnisse der Republikaner und der DVU sehr stark, so daß immer dann, wenn von der Wahlforschung bereits der Niedergang dieser Parteien vorausgesehen wurde, die extreme Rechte irgendwo wie aus dem Nichts emporschoß und – meist unterbesetzt und völlig unvorbereitet – ihren Platz im Parlament einnahm. Viertens zeichnet sich eine erschreckende „Verjüngung“ des rechtsextremen Wählerpotentials ab. Doch stellt das Jahr 1990 tatsächlich eine entscheidende Zäsur bei der Entwicklung der Wahlergebnisse rechtsextremer Parteien dar? Hat die Wiedervereinigung Impulse geliefert, die bestimmte Veränderungen im Wählerverhalten hervorgerufen haben? Oder sind diese Veränderungen vielmehr das Ergebnis einer langfristigen Entwicklung?
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.