Warum ist «Schule doof» und Lernen chic? Bildung als Freizeitbeschäftigung für Jugendliche Die PISA-Studie hat auch den Kinder- und Jugendbuchmarkt aufgerüttelt. Eine Flut von gelehrten Büchern zu naturwissenschaftlichen und philosophischen Fragen kommt derzeit auf den Markt. Wer also im Audimax der Kinder-Unis keinen Platz mehr gefunden hat, kann sich auch zu Hause bilden. Ob das funktioniert, bleibt aber fraglich. Von Zauberschülern und Piratentöchtern wurde Kindern an verregneten Sonntagen bisher erzählt, während sich die Jugendlichen mit einem Herz-Schmerz-Roman in ihr Zimmer zurückzogen. Damit könnte es vorbei sein, folgt man einem neuerlichen Trend. Der Pionier-Philosophielehrgang «Sofies Welt» ist zwar längst im Bücherregal verstaut, und dennoch gilt wieder: Statt Feuerproben von Märchenhelden ist nun «Abenteuer Denken» angesagt, statt der Geheimnisse im Wunderland stehen künftig die «Rätsel der Welt», von Forschern erklärt, auf dem Lese-Menu, Bücher voller «Praktiken der Philosophie» oder «Basiswissen zum Mitreden». Rowohlt etwa hat die Sachbuchreihe «science & fun» kreiert; die Deutsche Verlags-Anstalt bringt nächstens den zweiten Band der «Kinder-Uni» heraus (der erste hatte eine Startauflage von 50’000 Exemplaren); Jens Soentgens im Hammer-Verlag erschienener Ratgeber «Selbstdenken!» bietet jungen Menschen eine Anleitung zum Philosophieren; und bei Gerstenberg erklärt Frank Vermeulen in seinem Roman «Der Herr Albert» Jugendlichen auf vierhundert Seiten die Relativitätstheorie. Einige dieser Bücher sind durchaus gut gemacht. So hat etwa der bekannte Illustrator Klaus Ensikat «Die Kinder-Uni» mit Bildern versehen, die den ernsthaften akademischen Rahmen geistreich sprengen. Die Texte von Ulrich Janssen und Ulla Steuernagel sind Mitschriften der Vorlesungen, die Professorinnen und Professoren im Sommersemester 2002 an der Universität Tübingen gehalten haben. Sie sind in einer klaren, einfachen Sprache verfasst, ohne deshalb anspruchslos zu sein oder sich etwa dem Jugendton anzubiedern. Auch die Themen, die da behandelt werden, stellen eine Mischung dar aus grundlegenden («Warum müssen Menschen sterben?») und im Kontext eher ungewöhnlichen Fragen («Warum ist Schule doof?»). Einige Standardthemen kristallisieren sich gleich in mehreren solchen Fibeln zu einer Art Kinder-Bildungskanon heraus. Besonders das Aussterben der Dinosaurier und das Ausbrechen von Vulkanen scheinen den Forscher-Nachwuchs zu beschäftigen. Nehmen sich Janssen und Steuernagel dieser Gegenstände angemessen fundiert an, so werden im Band «Warum ist der Himmel blau? Kinder fragen, Eltern rätseln» von Bernhard Schulz, Antje Wegener und Carola Zinner die gleichen Themen wesentlich knapper und eher auf Unterhaltung als auf Vertiefung hin erklärt. Pointen und ausgefallene Fragen wie «Warum fallen die Vögel im Schlaf nicht vom Baum?» sollen das Lernen da offensichtlich besonders lustvoll gestalten. Nicht nur zur Wissensanhäufung, sondern auch zu Reflexionen wollen einige Bücher für Jugendliche anregen. Besonders Stephen Laws «Philosophie, Abenteuer Denken» vermittelt auf originelle Weise – über Anekdoten oder Dialoge – philosophisches Grundwissen. Dezent versucht der britische College-Dozent dabei auch, die klassische Rollenverteilung zwischen väterlichem Lehrer und naseweiser Schülerin zu unterlaufen. Fast schon ärgerlich anachronistisch sind hingegen die Parts in Vermeulens erwähntem Roman vergeben. Da bekommt die kindliche Protagonistin Einsteins Relativitätstheorie gleich von zwei älteren Herren erklärt: vom Grossvater und von einem sogenannten Beobachter, einer imaginären Figur aus Einsteins Gedankenexperimenten. Der Lernprozess der Heldin wird zwar für die Lesenden erstaunlich gut nachvollziehbar, die fiktive Geschichte, in welcher er eingebettet ist, scheint aber an den Haaren herbeigezogen und steht allzu offensichtlich im Dienste der Wissensvermittlung. Alle diese Bücher unterstreichen das Bedürfnis vieler, sich der gegenwärtigen Bildungskrise zu stellen. Eine wesentliche Frage allerdings können auch hohe Verkaufszahlen nicht beantworten. Jene nämlich, ob die Kinder und Jugendlichen die von besorgten (Gross-)Eltern verteilte verzuckerte Pille auch schlucken und ob sie sich tatsächlich Relativitätstheorie, Evolution oder das Glühen des Glühwürmchens auf ein paar Sachbuch- oder auch auf ein paar hundert Romanseiten erklären lassen wollen – als coole Freizeitbeschäftigung.
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