In den Schlingen der Politik «Verklärte Nacht»: Libuše Moníková verheddert sich «Landschaft, Intellekt, Eros» («das heilige Triumvirat, von Arno Schmidt aufgestellt») hat Libuše Moníková als eiserne Themenration des Schriftstellers in postmoderner Zeit empfohlen. Ganz an diese Vorgabe hält sich ihre jüngste Erzählung, «Verklärte Nacht». Landschaft: das ist das aus kommunistischer Erstarrung zu kapitalistischem Leben erwachte Prag, in das die als Ballettensemble-Leiterin erfolgreiche Ich-Erzählerin Leonora Marty nach zwanzigjährigem Aufenthalt im Westen zurückkehrt. Intellekt: das sind ihre Reflexionen über eine neue Choreographie und den Zustand der veränderten tschechischen Gesellschaft. Und Eros: das ist die rächende Annäherung an einen früheren Mitschüler, einen im Mief seiner Kleintiere und seines Junggesellentums verkommenen Mikrobiologen, schliesslich die rettende Liebe zu einem Deutschen. Abseits der Trampelpfade Die autobiographischen Bezüge dieses Stoffes liegen auf der Hand. 1945 in Prag geboren, lebt Libuše Moníková seit 1971 in der Bundesrepublik, wo sie sich schreibend die deutsche Sprache und Gedankenwelt angeeignet hat. Für ihre Erzählungen («Eine Schädigung», 1981; «Pavane für eine verstorbene Infantin», 1983) und ihre Romane («Die Fassade», 1987; «Treibeis», 1992) bedachte sie die Kritik mit einem anschwellenden Lobgesang, der in namhaften Auszeichnungen gipfelte. Verdienste hat sich Moníková zudem erworben als Vermittlerin tschechischer Kultur abseits der feuilletonistischen Trampelpfade. Ladislav Klíma war sie in ihren Essays genauso eine Fürsprecherin wie Milena Jesenská oder Karel Capek. Keinem aber hat sie sich nachhaltiger verpflichtet als ihrem «zähen Landsmann» und literarischen Taufpaten Franz Kafka. Es ist keine langsame Heimkehr, die die Autorin in ihrem Buch beschreibt. Wo Peter Handke den Helden seiner gleichnamigen Erzählung auf der Rückreise nach Österreich in selbstquälerischer Reflexion die Bedingung der Möglichkeit von Heimat überhaupt erkunden und diese zuletzt in der sinnverbürgenden Ordnung der Natur finden lässt, setzt Moníková ihre Protagonistin viel unvermittelter dem verlorenen Glücksraum der Kindheit aus. Eingespannt in die präsentische Erzählsituation, bleibt Leonora Marty Gefangene der Unmittelbarkeit und damit jener Skepsis, Desillusionierung und Beziehungslosigkeit, die sie sich im Westen zugelegt hat. So tritt uns denn das neue Prag als eine Ansammlung altbekannter Klischees entgegen – als Ort, der durch die «Devisentouristen» und die russische Mafia, durch Profitgier, «Plasticflut» und Fast food, durch den Vandalismus der Jungen und die Verarmung der Alten zu verslumen droht. Umgekehrt sind es die Tschechen, «die sich immer so gern als Opfer ausgeben», sich in «ein Volk von Gauklern» verwandelt und die eigene Revolution «verkitscht» haben. Noch schlimmer: Die Kirche beansprucht im Rahmen der «Restitution» die Kathedrale auf dem Hradschin zurück, und Strassenbahnhaltestellen wechseln ihre Namen so schnell, dass sich Leonora Marty «keines Wortes sicher» sein kann. Die Abspaltung der Slowakei steht unmittelbar bevor, selbst der Prager Frühling ist nicht mehr, was er einmal war: «Jetzt ist der Name Jan Palach offiziell, ohne Risiko, ohne Anspannung und Verpflichtung zur Erinnerung – sie wurde von den Schildern übernommen. Es gibt kein kollektives Gedächtnis auf die Dauer, nur das kollektive Vergessen.» Nicht, dass solches keinerlei Realität träfe, doch würde man Moníkovás Invektiven lieber in einer Handlung aufgehoben als plakativ verkündet sehen. Analoges gilt für die kommentierte Chronik der politischen Ereignisse von der Volkserhebung im November 1989 bis zum Abzug der Russen im Dezember 1992, die zuweilen in einen apodiktischen Leitartikelton («England, seit München 38 in tschechoslowakischen Angelegenheiten anmassend») verfällt. Subtiler sind die ins Historische ausgreifenden Streifzüge durch das unbekannte Prag ausgefallen – zum vor sich hin bröckelnden, zum Mahnmal eines menschenfeindlichen Gigantismus gewordenen Strahov-Stadion hoch über der Stadt, zu den verschiedenen Theatern oder zur Nusle-Brücke, wo sich die Selbstmörder für den Sprung nach Prag 2 oder 4 entscheiden müssen. In einer Archäologie der Kindheit kommt Ureigenes mit herauf, wie denn die Erinnerungen an die bleierne Zeit des Sozialismus (etwa an die Spartakiaden) die berückendsten Passagen des Buches ausmachen. Eine Fremde ist Leonora Marty auch als Künstlerin, denn der Erfolg gibt ihr nur scheinbar Halt. Andere «leben unmittelbar ins Reine, ohne zu probieren», doch sie kommt «vor lauter Anforderungen nicht [zum Thema]». Dem entsprechen die kleinen Fluchten – ins Schwimmbad, wo sich für ewige Augenblicke die Sehnsucht nach der «Rückkehr ins Urelement», unter solidarischen Frauen aber auch der Traum von der Auferstehung der eigenen früh verstorbenen Mutter erfüllt. Ihre Phantasien tragen sie durch die Weltgeschichte der Frauen: als eine der Belagerten von Masada, als Cumäische Sibylle, Hatschepsut oder Leni Riefenstahl. Wie die 337 Jahre alte Heldin Emilia Marty in der Janácek-Oper «Die Sache Makropoulos» (ihrer Meisterinszenierung) lebt Leonora Marty eine trostlose Unsterblichkeit, von der sie im magischen Prag erlöst zu werden hofft. Weiblicher Ahasver Die mythopoetische Spiegelung zwischen beiden Figuren indes will nicht recht funktionieren – greift der weibliche Ahasver («dass ich keine Jüdin bin, ist nur ein Missverständnis») doch auf das Profanste zurück, um sich des eigenen Daseins zu vergewissern: die Liebe. Thomas Asperger heisst der Biedermann für alle Fälle (Kochen, Putzen, Heimwerken, Einkaufen usw.) und ist «für einen Deutschen ziemlich witzig». Der Teufel freilich muss Libuše Moníková geritten haben, diese Erlöserfigur den Sohn eines Sudetendeutschen sein zu lassen und sich so die heikle Thematik der ethnischen Säuberungen nach 1945 aufzuladen. Mit Gemeinplätzen («dass die generelle Vertreibung ein Unrecht war, wissen wir ja alle») und der politisch korrekten (sexuellen) Vereinigung einer Tschechin mit einem Deutschen ist es in dieser Sache schwerlich getan. Mit der utopisch «verklärten [Liebes]nacht» («es erinnert an eine Geburt und an ein Sterben, die Grenze ist nicht auszumachen») gleitet das Buch – nicht zufällig auch sprachlich – vollends in den (Polit-)Kitsch ab. Der Drang zur voreiligen Versöhnung mag mit einer sich verschärfenden Irritation der Autorin zusammenhängen: Tschechien ist frei, doch Libuše Moníková verharrt im deutschen Exil; die Heimat liegt hinter ihr, doch in der Fremde ist sie nie ganz angekommen (wie missglückte Formulierungen wie «das angeborene Misstrauen der Bevölkerung zur Polizei» oder «der Ort der barocken Niederlage» nahelegen). Wenn es für diese zweifellos begabte Erzählerin eine Perspektive gibt, so ist sie nicht in einem leichtsinnigen Populismus, sondern in der strengen Kunst zu finden. Andreas Breitenstein
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.